„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“

Asse

von Joachim Schüring Interview

Als Betreiberin ist die BGE in der Pflicht, die Radioaktivität in der Umgebung der Schachtanlage Asse II zu überwachen. Reicht das aus? Und: Wie wird sich ein Zwischenlager auf die Region auswirken? Darüber sprachen wir mit dem Strahlenschützer Werner Rühm.

Einblicke: Rund um kerntechnische Anlagen wird stets die ionisierende Strahlung gemessen – auch im Umfeld der Asse. Was wird dort genau gemessen, und wie funktionieren die Messungen?

Entsprechend der Richtlinie zur Emissions- und Immissionsüberwachung kerntechnischer Anlagen (REI) muss die BGE als Betreiberin ja ein kontinuierliches Messprogramm durchführen. Dazu werden zum Beispiel Proben von Niederschlägen und Böden, auch vom Wasser und von Lebensmitteln entnommen und auf Spuren radioaktiver Stoffe untersucht. Das schließt Messungen von Radionukliden ein, die Gammastrahlen aussenden, sowie von weiteren Nukliden wie dem Isotop Strontium-90. Übrigens muss auch die zuständige Aufsichtsbehörde ergänzende Messungen durchführen – das ist der Grund, warum das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) unabhängig davon Messungen vornimmt und Proben untersucht.

Darüber hinaus führt die BGE zusätzliche und gesetzlich nicht vorgeschriebene Messungen durch. Dabei werden Nahrungsmittel von Landwirten der Region auf Radioaktivität untersucht. Schließlich – und aus meiner Sicht besonders wichtig – betreibt die Leibniz Universität Hannover in Remlingen eine Bürgermessstelle für Umweltradioaktivität, bei der jeder Interessierte beliebige Proben auf Radioaktivität untersuchen lassen kann.

Profilbild von Kernphysiker Werner Rühm
Werner Rühm ist Kernphysiker und lehrt als Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Rühm ist Leiter der Arbeitsgruppe Medizin und Umweltdosimetrie am Helmholtz Zentrum München, Vorsitzender der Internationalen Strahlenschutzkommission und Mitglied im Nationalen Begleitgremium, das die Suche nach dem Endlager für hochradioaktive Abfälle begleitet.

Einblicke: Sie erwähnen die REI. Können Sie uns kurz erklären, was dort geregelt ist?

Die REI betrifft zum einen die Radioaktivität, die von einer kerntechnischen Anlage in die Umgebung abgegeben werden darf: Das ist die „Emission“. Darüber hinaus gibt sie Anleitung zur Messung der mit einer Emission verbundenen Kontamination der Umwelt mit Radionukliden. Dabei geht es um die „Immission“ in Luft, Wasser oder Nahrungsmittel sowie um die Messung der Ortsdosisleistung. Damit soll die mit einer potenziellen Emission verbundene Strahlenexposition der Bewohner in der Nähe einer kerntechnischen Anlage bestimmt werden. Die in der REI vorgeschriebenen Messungen sind auch deswegen wichtig, damit man prüfen kann, ob entsprechende Grenzwerte eingehalten oder überschritten werden.

Einblicke: Wie hoch ist die Strahlung in der Region rund um die Asse?

Wer sich einen Überblick über die Strahlung in seiner Umgebung, genauer gesagt über die Ortsdosisleistung, verschaffen möchte, kann sich zum Beispiel die Messdaten des Integrierten Mess- und Informationssystems (IMIS), das vom Bundesamt für Strahlenschutz betrieben wird, ansehen. IMIS besteht aus etwa 1700 Messsonden, die bundesweit verteilt sind und kontinuierlich die Strahlendosis durch die natürliche Strahlung aus dem Untergrund und dem Weltall messen (die Ortsdosisleistung ist online abrufbar, die Redaktion).

Am 10. März 2022 nachmittags zeigte die IMIS-Messsonde in Remlingen nahe der Asse zum Beispiel eine Dosisleistung von 93 Nanosievert pro Stunde. Das entspricht einer jährlichen Dosisleistung von 0,8 Millisievert pro Jahr. Ähnliche Werte sind im Rahmen der natürlichen Schwankungsbreite auch an anderen IMIS-Standorten in der Norddeutschen Tiefebene zu verzeichnen. Anhand der in IMIS gemessenen natürlichen Ortsdosisleistungen lässt sich die Schachtanlage Asse II also nicht erkennen.

Einblicke: Weisen die Untersuchungen nach der REI aus Ihrer Sicht Lücken auf, sodass die Strahlenbelastung nicht vollständig erfasst wird?

Ich persönlich halte die in der REI vorgeschriebenen Messungen für ausreichend, zumal diese von verschiedenen Akteuren durchgeführt werden müssen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf solchen Radionukliden, die am ehesten zur Strahlendosis beitragen würden, falls sie freigesetzt würden. Sollten Messergebnisse auf eine mögliche Emission oder Immission hindeuten, kann man zur Klärung der Situation dann immer noch weitere Messungen in die Wege leiten.

Einblicke: Die Messungen werden durch die Betreiber durchgeführt. Können sich die Menschen auf die Ergebnisse verlassen?

In der Tat ist es so, dass die Überwachung von Emission und Immission gemäß der REI vom Betreiber erwartet wird. Aber wie so oft gilt auch hier – Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Deshalb ist es wichtig, dass die Messungen durch einen Betreiber zum Beispiel durch unabhängige Messstellen oder durch die entsprechenden Behörden überprüft werden müssen.

Zusätzlich können die Immissionsmessungen als Plausibilitätskontrolle der Emissionsüberwachung dienen. Und auch hier gilt der oben erwähnte Ansatz: Der Betreiber muss Umweltproben insbesondere im Nahbereich um eine Anlage untersuchen. Dabei soll der Schwerpunkt auf dem Anfang der Nahrungskette liegen, also insbesondere auf den Analysen von Wasser-, Luft-und Bodenproben. Im Gegensatz dazu sollen unabhängige Messstellen das Augenmerk auf das Ende der Nahrungskette richten, also auf Trinkwasser und Nahrungsmittel.

Für besonders wichtig halte ich, dass man auch Anwohnern die Möglichkeit geben sollte, unabhängig von den gesetzlichen Vorschriften eigene Messungen durchzuführen. Dies hat sich gerade nach dem Unfall von Fukushima als hilfreich herausgestellt, weil es das Vertrauen der Bevölkerung in die Überwachung deutlich erhöht.

Einblicke: Bevor die aus der Asse zurückgeholten Abfälle in ein Endlager verbracht werden können, müssen sie sicher verpackt – konditioniert – werden. Diese Konditionierung soll vor Ort erfolgen. Überdies plant die BGE, die Abfälle zunächst vor Ort zwischenzulagern. Wird sich die Strahlendosis nach Inbetriebnahme dieser Anlagen in der Region erhöhen?

Natürlich beinhaltet jeder Umgang mit radioaktivem Material auch die Möglichkeit einer erhöhten Strahlendosis. Dies könnte insbesondere das Betriebspersonal betreffen – egal, ob sich ein derartiges Zwischenlager in der Nähe der Asse oder anderswo befindet. Dafür gibt es Grenzwerte – in Deutschland gilt etwa für den beruflichen Umgang mit ionisierender Strahlung für die jährliche effektive Dosis ein Grenzwert von 20 Millisievert. Hier folgen wir in Europa wie in vielen anderen Ländern der Welt Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP), die sich wiederum auf die Einschätzung des United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR) stützt.

Zum Vergleich: Die Bevölkerung ist in Deutschland durch natürliche Quellen ohne das Edelgas Radon einer ionisierenden Strahlung von etwa 1 Millisievert pro Jahr ausgesetzt. Diese Dosis schwankt je nach Gegend und Höhe über dem Meeresspiegel. Am 10. März 2022 zeigte das IMIS-System für St. Peter-Ording umgerechnet eine jährliche Dosisleistung von 0,5 Millisievert pro Jahr, für Haidmühle im Bayerischen Wald hingegen 1,4 Millisievert pro Jahr.

Wenn man sich diese Schwankung der natürlichen Strahlung ansieht und vergleicht mit dem erlaubten Grenzwert von 1 Millisievert, dann komme ich zu dem Schluss, dass eine Anlage, wenn überhaupt, zu einer zusätzlichen jährlichen effektiven Dosis führen könnte, die ich durch einen Umzug in eine andere Gegend in Deutschland auch bekommen könnte.

Einblicke: Diskutiert wird die Zwischenlagerung an einem anderen assefernen Standort. Welche Vor- und Nachteile hätte das aus Sicht des Strahlenschutzes?

Ich kann gut verstehen, dass Anwohner in der Nähe der Asse nicht auch noch ein Zwischenlager für den radioaktiven Abfall, der aus der Tiefe herausgeholt wurde, haben wollen. Aus Sicht des Strahlenschutzes sehe ich dann allerdings für die Beschäftigten einen weiteren Aufwand mit möglicherweise zusätzlichen Strahlendosen, um den radioaktiven Abfall so aufzubereiten, dass er sicher transportiert werden kann. Auch würde ich den Transport von radioaktivem Material vermeiden, wenn es möglich ist. Zumal ja die Vergangenheit gezeigt hat, dass der Transport radioaktiven Abfalls mit großen gesellschaftlichen Widerständen verbunden ist. Im Sinne eines der Grundprinzipien des Strahlenschutzes, nämlich die Strahlendosis so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar zu halten, würde ich daher für einen assenahen Standort plädieren.

Einblicke: Bürgerinitiativen fordern einen Mindestabstand kerntechnischer Anlagen zur Wohnbebauung. Welche Bedeutung hat ein Mindestabstand aus Sicht des Strahlenschutzes, und wann ist er gerechtfertigt?

Beim Umgang mit radioaktiven Stoffen ist es immer wichtig, auf einen möglichst großen Abstand von der Strahlenquelle zu achten, weil die Dosisleistung mit dem Quadrat des Abstands von der Strahlenquelle abnimmt. Insofern kann ich die Forderung nach einem Mindestabstand kerntechnischer Anlagen zu einer Wohnbebauung verstehen. Allerdings spielen bei etwaigen radioaktiven Freisetzungen noch einige weitere Aspekte eine Rolle, zum Beispiel die gerade vorherrschende Windrichtung oder die Regenwahrscheinlichkeit. Entscheidend ist, denke ich, sicherzustellen, dass der schon erwähnte Grenzwert für die Bevölkerung von 1 Millisievert effektive Dosis pro Jahr eingehalten wird.

Der Autor

Die Fragen stellte Joachim Schüring, Geologe und Head of Content des Studio ZX.

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