Open-Mic-Night in der Asse – wie Fledermäuse kartiert werden

von Annette Parlitz

Damit der radioaktive Abfall herausgeholt werden kann, muss die Schachtanlage Asse II erweitert werden. Der Schutz der umliegenden Natur - insbesondere der Fledermäuse – spielt dabei eine große Rolle.


Auf der Asse wird Sicherheit großgeschrieben, keine Frage. Aber versteckte Kameras? Das wäre neu für die Belegschaft. Dennoch: Da hängen sie. Mysteriöse Holzkisten, die aussehen wie Nistkästen für ziemlich große Vögel. Aber Nistkästen mit Elektrokabel? Sind das nicht vielleicht doch Kameras? Der Schock sitzt tief. Die Ersten wenden sich an Vorgesetzte, Betriebsrat und Objektschutz.

Nach ein paar Stunden kommt die Entwarnung: Es sind keine Kameras. Sondern Horchboxen für Fledermäuse. Die Empörung macht der Verwirrung Platz. Was sind das? Horchboxen. Das sind kleine Tonaufnahmegeräte, die über eine gewisse Dauer Fledermausrufe erfassen und speichern. Es gibt also tatsächlich einen Überwachungsauftrag. Aber nicht für Menschen. Sondern im Namen des Naturschutzes und im für Menschen nicht hörbaren Frequenzbereich. Selbstverständlich werden keine Gespräche von Menschen aufgezeichnet, da der menschliche Schallbereich unter dem Frequenzbereich der Fledermäuse liegt.


Fledermaus auf einer Unterlage
Quelle: ARGE Umweltplaner Asse II
Um Tiere wie die hier abgebildete Breitflügelfledermaus zu schützen, wurden die Hochboxen an der Asse aufgehängt.

Ultraschallsensoren zeichnen die Töne der nächtlichen Flattertiere auf. Wozu das jemand wissen will? Die Antwort hat die in der Verwaltungssprache üblich hohe Anzahl Silben: Es gibt eine „fledermauskundliche Untersuchung innerhalb der naturschutzfachlichen Kartierung“. Eigentlich klar: Um die Schachtanlage Asse II herum liegt der Asse-Wald mit seinen vielen seltenen Pflanzen und Tieren. Baumaßnahmen, wie für den neuen Schacht 5, stören die buchstäbliche Waldesruhe.


Strenge Naturschutzregeln für Asse-Bauarbeiten

Die Schachtanlage Asse II, umgeben von geschützten Waldflächen, muss sich erweitern. Sonst kann der radioaktive Abfall nicht herausgeholt werden. Aber deswegen darf nicht einfach so gebaut werden. Es dürfen nur notwendige Bauarbeiten durchgeführt werden und diese notwendigen Bauarbeiten müssen bestmöglich um die derzeitigen Bewohner*innen des Waldes herum geplant werden. Baumfällungen, Flächenversiegelungen, Lärm und nächtliche Lichter können die sensible Flora und Fauna stören, vertreiben, verletzen oder gar töten. Darum ist das Bauen im FFH-Gebiet, so heißen europäische Schutzgebiete für Natur und Landschaft, grundsätzlich verboten. Wenn es doch sein muss, gelten strenge Regeln.

Für die Schachtanlage Asse II ist schon einmal solch eine Kartierung vor einer Baumaßnahme erfolgt. Im Februar 2012 wurden Bäume gefällt, um im Wald eine Erkundungsbohrung herzustellen. Bevor der Bohrplatz planiert werden durfte, ist jedoch einen Sommer lang ein Team aus Biolog*innen die Fläche regelmäßig abgegangen, um seltene Pflanzen auf der Fläche zu finden und im Herbst vorsichtig umzusetzen. Damals waren es Seidelbast, Türkenbundlilie und Märzenbecher. Jetzt sind es das Graue Langohr und der Große Abendsegler oder die 17 anderen Fledermausarten, die in Niedersachsen vorkommen.

Blühpflanze am Waldboden
Quelle: ARGE Umweltplaner Asse II
Auch die Türkenbundlilie rund um die Asse wird geschützt

Allen Fledermausarten gemein ist, dass sie auf der Liste der besonders und streng geschützten Arten stehen. Natürliche Feinde der Fledermäuse sind Eulenvögel, Katzen und Marder. Doch als größte Herausforderung steht ihnen der Mensch mit seinen Eingriffen in ihre Lebensräume gegenüber. Andererseits sind einige Fledermäuse sogenannte Kulturfolger geworden, haben sich ändernden Lebensbedingungen angepasst und ziehen in den Lebensraum der Menschen. So besiedeln sie diverse Gebäude und Bauwerke, wo z. B. Mauerspalten, Dachböden oder Keller als Quartier dienen. Es gibt aber auch die waldbewohnenden Fledermausarten, die in Baumhöhlen und -spalten zum Teil ganzjährig leben. Andere Fledermaus-Kartierungen haben sehr deutlich gezeigt: Die Tiere machen häufig ihre nächtlichen Routen an Straßen und menschgebauten Freiflächen fest. Der Eingriff durch Baumfällungen oder Verlegungen von Wegen stört die empfindlichen Ökosysteme noch über den Baulärm hinaus ganz erheblich. Das Naturschutzgesetz schreibt daher vor, die Eingriffe in den schrumpfenden Lebensraum der nachtaktiven Säuger so gering wie möglich zu halten.



Ziel: Eine Fledermaus-Landkarte der Asse

Holzkasten an einem Baum
Quelle: BGE
So sehen die auf der Asse aufgehängten Horchboxen aus

Wo die Zwergfledermaus und das Große Mausohr ihre Reviere und Flugbahnen haben, messen die jetzt aufgehängten Horchboxen. Die Rufe der Fledermäuse sind für jede Art unterscheidbar. So können die empfindlichen Aufnahmegeräte typische Schallmuster aufzeichnen und gut geschulte Fledermaus-Expert*innen bestimmen anhand dieser Signale die Arten. Auch wie die Tiere rufen, lässt sich als „Hey, ich bin nur auf der Durchreise“ oder „Hallo, Nachtfalter, gleich schnappe ich Dich“ interpretieren. In der Fachsprache heißt das „Transferruf“ und „Feeding Buzz“. Größere Flugstrecken lassen sich so von kleinräumigen Jagdflügen unterscheiden.

Aus kaum sichtbaren Nachtfliegern und ihren unhörbaren Rufen lässt sich auf diese Weise eine Landkarte der Fledermäuse erstellen. Wenn die fertig ist, geht es an die Auswertung. Hier in der Asse wird das noch dauern. Das Projekt hat gerade erst angefangen. Aber klar ist: Jede Lampe auf der Baustelle wird geprüft, ob sie Fledermäuse vertreibt oder ob ihr Licht sogar Insekten und damit Fledermäuse anlockt. Jeden Baum, der gefällt werden soll, untersuchen Expert*innen, ob darin Fledermäuse oder andere Tiere ihre Wohnung haben und wie man sie sanft zum Umzug bewegen könnte. Das heißt „Habitatbaum-Kartierung“ und ist ein anderes Thema, über das wir an anderer Stelle berichten werden. Schließlich läuft die naturschutzfachliche Kartierung der Asse noch über mehrere Jahre.

Die Autorin

Annette Parlitz arbeitet bei der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) in der Infostelle Asse.

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