„Ich vertraue wesentlich auf Kenntnisse der Physik und des Strahlenschutzes“

BGE

von Michael B. Berger Interview

Iris Graffunder ist seit Januar 2024 Vorsitzende der Geschäftsführung der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE). Im Interview spricht sie über ihren Werdegang, ihre neuen Aufgaben bei der BGE und warum Demut vor der Aufgabe der Endlagerung hilfreich sein kann.

Frau Graffunder, Sie haben als eine von zwei Chefinnen zum 1. Januar ihren neuen Job bei der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) angetreten und sind unter anderem für die Atomlager Asse und Schacht Konrad zuständig. Was bringen Sie mit für diesen Job?

Iris Graffunder: Ich bringe 30 Jahre Erfahrung im Rückbau von Nuklearanlagen und in der Entsorgung von radioaktiven Abfällen mit. Wenn ich etwas wirklich kann und darüber viel weiß, dann ist es der Umgang mit radioaktiven Stoffen.

Ein Portraitfoto von Iris Graffunder
Iris Graffunder, Vorsitzende der Geschäftsführung der BGE
Wenn man nicht optimistisch ist, könnte man es in unserer Branche gar nicht aushalten.

Sie sind auch zuständig für die Suche nach einem Lager für hochradioaktiven Abfall, für das einst Gorleben vorgesehen war. Ein Thema, das immer wieder die Gemüter erhitzt. Wieviel Optimismus braucht man für solch einen Job?

Iris Graffunder: Eine Menge. Und ich bringe davon eine große Menge mit. Wenn man nicht optimistisch ist, könnte man es in unserer Branche gar nicht aushalten. Denn man hat mit sehr langen Zeiträumen und vielfach mit Protesten zu tun. Wenn man nicht generell eine optimistische Grundhaltung hat, kommt man in diesem Job nicht weiter.

... über Gottvertrauen

Braucht man als Entsorgungsmanagerin für atomare Stoffe in einem Land wie Deutschland, in dem die Kernenergie hochumstritten ist, so etwas wie Gottvertrauen?

Iris Graffunder: (Überlegt). Es schadet generell nie, Gottvertrauen zu haben. Demut vor der großen Aufgabe der Entsorgung hilft auch gewiss. Man sollte nicht glauben alles zu wissen und zu kennen, deshalb muss ich mich nach und nach mit den Abläufen hier vertraut machen. Aber ich vertraue wesentlich auf Kenntnisse der Physik und des Strahlenschutzes, die ich als Diplomingenieurin erlangt habe.

Wie sind Sie darauf gekommen, ausgerechnet Strahlenschutz zu studieren?

Iris Graffunder: Ich habe mich schon immer für Naturwissenschaften interessiert und als Leistungskurse an der Schule Mathe und Chemie gehabt. Deshalb habe ich Naturwissenschaften studieren wollen. Weil ich aber aus einem Arbeiterhaushalt komme und meine Eltern nicht das Geld für ein Vollstudium aufbringen konnten, habe ich überlegt, wie ich mein Studium finanzieren könnte und kam auf die Berufsakademie. Dort gibt es soziale, betriebswirtschaftliche und technische Bereiche. Bei den technischen Bereichen war so viel Spannendes dabei, dass ich mich 1986 dafür entschieden habe, Strahlenschutz an der Berufsakademie Karlsruhe zu studieren. 1986 war allerdings das Jahr, in dem der sowjetische Atomreaktor Tschernobyl in der heutigen Ukraine explodierte. Meine Mitabiturient*innen haben mich damals beschimpft – wie kannst Du Dich ausgerechnet jetzt mit Atomkraft und Strahlung befassen? Aber ich habe mir damals gedacht, jetzt erst recht. Wenn man es mit Risiken zu tun hat, muss man die Risiken auch kennen. Ich habe es nie bereut, Strahlenschutz studiert zu haben.

Eine Frau mit blondem Bob, dunkler, runder Brille und hellem Blazer lächelt in die Kamera.

Zur Person

Iris Graffunder ist seit 2024 Vorsitzende der Geschäftsführung der BGE. Vorher war sie zunächst technische Geschäftsführerin und seit 2021 Vorsitzende der Geschäftsführung der Kerntechnischen Entsorgung Karlsruhe (KTE).

Iris Graffunder hat Strahlenschutz studiert und ihr gesamtes bisheriges Berufsleben mit dem Rückbau kerntechnischer Anlagen und der Entsorgung von radioaktiven Abfällen verbracht. In der BGE ist sie verantwortlich für die Standortauswahl für das Endlager für hochradioaktive Abfälle, die Produktkontrolle, die Finanzen und die Kommunikation.

... über Schacht Konrad

Nicht weit entfernt von Ihrem BGE-Sitz in Peine liegt der Schacht Konrad, der seit 2007 endgültig und höchstrichterlich als Lager für schwach- und mittelradioaktiven Müll genehmigt ist. Er ist immer noch umstritten und soll 2029 in Betrieb gehen. Was muss dafür noch geschehen?

Iris Graffunder: Aktuell gehen wir als BGE davon aus, dass wir 2029 mit der Errichtung fertig sein werden. Dann wird man noch etwas brauchen, sodass man wohl ab Anfang der 2030er Jahre schwach- und mittelradioaktive Abfälle annehmen kann. Bis dahin müssen die Anlagen für Schacht Konrad 2, dem Teil, wo die radioaktiven Abfälle ankommen und unter Tage gehen, noch fertiggestellt werden und auch behördlich geprüft und abgenommen werden. Da es sich hier im Gegensatz zu Schacht 1 um nukleare Anlagen handelt, ist das Prüfprozedere sehr anspruchsvoll.

Ist es eigentlich normal oder höchst bedenklich, dass man fast eine Generation braucht, bevor ein bereits genehmigtes Endlager in Betrieb geht?

Iris Graffunder: Ich bin mit dieser Frage gewissermaßen großgeworden. Als ich 1986 im Kernforschungszentrum Karlsruhe angefangen habe, hieß es, dass man wohl in den 1990er Jahren mit Konrad rechnen könne. Damals hat man gehofft, dass Ende der 1990er Jahre Konrad annahmefähig ist. Das hat sich als große Illusion erwiesen. Sicherlich ist so ein Endlager eine Riesenbaustelle. Aber ob es wirklich solange dauern muss, bis so ein Projekt verwirklicht werden kann, das müssen Sie mich fragen, wenn ich hier ein paar Jahre gearbeitet habe.

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... über zeitliche Planungen

Das, was jetzt gebaut wird, entspricht dem Stand der Technik.

Eine Kritik am Schacht Konrad lautet, dass man hier eine Atomanlage in Betrieb nehmen will, die den Stand der Technik der 1990er Jahre repräsentiert. Stimmt das?

Iris Graffunder: Nein, diese Kritik ist nicht berechtigt. Denn das, was jetzt gebaut wird, entspricht dem Stand der Technik, der jetzt gilt, also dem heutigen. Alle Unterlagen sind auf den heutigen Stand der Technik gebracht. Richtig ist, dass die Grundüberlegungen und die Systematik, wie man etwas einlagert und in den Kammern stapelt, in den 1980er Jahren konzipiert worden sind. Konrad wird in der Fachwelt als ein sehr stabiles Lager betrachtet – etwa, was das Deckgebirge betrifft. Im Ausland beneidet man uns sogar darum.

Für den hochradioaktiven Müll, der ursprünglich nach Gorleben sollte, gibt es noch keinen Endlager-Standort. Der sollte ursprünglich bis 2031 gefunden werden. Später wurde bekannt, dass es länger dauern wird. Wie geht es damit weiter?

Iris Graffunder: Das Jahr 2031 war eine Zielgröße, die nicht erreicht werden kann, auch wenn wir wesentlich mehr Personal hätten. Das war, muss man einräumen, auch eine politische Zielgröße. Nach den bisherigen Planungen sollen bis 2027 höchstens zehn Standortregionen genannt werden, an denen weitere Untersuchungen stattfinden. Dann wird es auch für die Öffentlichkeit interessant. Die BGE macht alle Anstrengungen damit es schnell geht. Umso wichtiger erscheint mir, dass wir mit dem Schacht Konrad weiterkommen. Denn an einem solchen Beispiel ließe sich demonstrieren, dass die Endlagerung atomaren Mülls in Deutschland möglich ist. Wenn man hier das Projekt immer wieder nach hinten schiebt, kommt man bei der Standortsuche für ein Lager für hochradioaktiven Müll auch nicht weiter.

Die Angst vor gelben Fässern oder vor dem Atomsymbol ist so mächtig, dass viele gar nicht mehr einordnen können, wo eine Gefahr vorhanden ist und wo nicht.

Früher hat man gesagt, auch bei den Grünen, dass die Endlagersuche jetzt leichter fallen müsste, weil das Thema Kernkraft in Deutschland – FDP hin oder her – politisch erledigt ist. Teilen Sie diese Ansicht?

Iris Graffunder: Ich teile die Ansicht, dass zumindest in Deutschland das Thema Atomkraft vom Tisch ist. Aber ich teile keinesfalls die Ansicht, dass damit der Streit um die Endlagerung leichter wird oder das Thema Widerstand vom Tisch ist. Die Angst vor gelben Fässern oder vor dem Atomsymbol ist so mächtig, dass viele gar nicht mehr einordnen können, wo eine Gefahr vorhanden ist und wo nicht. Ich hoffe, dass ich mein breites Wissen um den Strahlenschutz einsetzen kann und hier etwas zur Befriedung in den nächsten Jahren beitragen kann.

... über die Angst vor Strahlung

Die Angst vor einer vermeintlichen Verstrahlung ist indes so groß, dass sich Gemeinden in Deutschland geweigert haben, bereits freigemessenen Bauschutt von ehemaligen Kernkraftwerken auf Deponien abzulagern… Wie kann man solche Ängste abbauen?

Iris Graffunder: Es ist gewissermaßen eine Urangst der Menschen. Dabei wissen viele gar nicht, dass alles strahlt, ja, dass sie selbst Strahlung abgeben. Die Strahlung an sich zu verteufeln ist irrational. Mich wundert es, dass die Menschen einfach zum Röntgen gehen oder etwa eine Computertomografie machen lassen, wo sie ein Vielfaches an Strahlung abbekommen als wenn sie sich an einen Castor-Zug stellen.

Aber was wollen Sie gegen solche Urängste ausrichten?

Iris Graffunder: Konkret zeigen, wie man mit Strahlung umgehen kann. Im Grunde müsste man so etwas üben und den Leuten Messgeräte in die Hand drücken damit sie selbst sehen wo überall Strahlung vorhanden ist – Strahlung, vor der man nicht erschrecken muss.

Wollen Sie bei der BGE so etwas wie eine Museumspädagogische Abteilung schaffen?

Iris Graffunder: (Lacht). Nein, das nicht. Aber man sollte etwa beim Thema Standortauswahl auch so etwas wie Gefährdungspotenzial verdeutlichen, durchaus auch praktisch. Als ich anfing Strahlenschutz zu studieren, war ich überrascht, dass man von diesem Thema in der Schule gar nichts mitbekommen hat. Als man damals in Deutschland mit der Mülltrennung anfing, da sind die Kinder aus der Schule gekommen und haben den Eltern erklärt, wie der Müll sortiert wird. Beim Thema Nuklearentsorgung gibt es nichts dergleichen. Dabei müsste über so etwas auch an den Schulen aufgeklärt werden.

Sollte Strahlenschutz ein Schulfach werden?

Iris Graffunder: Das nun nicht. Aber die Wirkung von Strahlen auf den Körper könnte im Physik- oder Biologieunterricht erläutert werden. Mehr Wissen in diesem Fall kann gewiss nicht schaden wie Wissen allgemein niemals schädlich ist.

Über den Autor

Das Interview führte Michael B. Berger. Er ist Redakteur im Ruhestand und arbeitet als freier Autor. Bis 2022 leitete der studierte Theologe die landespolitische Redaktion der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Dort berichtete er unter anderem über Landtag und Landesregierung.


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