„Es passiert immer etwas Unerwartetes“

Endlager Konrad

von Michael Prellberg Interview

Neun von zehn Großprojekten dauern länger als geplant. So wie die Fertigstellung des Endlagers Konrad. Der Neurowissenschaftler Martin Korte von der TU Braunschweig erklärt, woran das liegt – und wie sich Zeitpläne besser einhalten lassen.

Einblicke: Großprojekte dauern überall in der Welt meist länger als geplant. Woran liegt das?

Martin Korte: An der Planung. Damit Großprojekte im Kosten­ und Zeitbudget bleiben, braucht es eine möglichst genaue Planung, die mögliche Risiken nicht unterschlägt. Auch wenn das ein paar Monate länger dauern sollte als gedacht: Das ist gut inves­tierte Zeit. Wenn endlich realistische und umfassende Pläne stehen, heißt es, sofort loszulegen und das Projekt schnell umzu­setzen. Ich nenne das den „Pixar“­-Effekt, nach dem US­-amerikanischen Filmstudio, bekannt etwa für „Findet Nemo“ oder „Toy Story“. Für neue Projekte bekommen die Filmplaner bei „Pixar“ so viel Vorberei­tungszeit, wie sie wollen. Sobald der Dau­men für den Plan dann hochgeht, wird sofort losgelegt. Denn die meisten Kosten fallen nicht in der Planungsphase an, son­dern entstehen dann, wenn sich die Umsetzung verzögert.

Einblicke: Sie haben sich auch mit dem Endlager Konrad beschäftigt. Wie bewerten Sie die Situation?

Martin Korte: Großprojekte dauern länger, wenn nicht alle an einem Strang ziehen. Solch ein Nebeneinander und sogar Gegeneinan­der findet sich häufig, weil bei Großprojek­ten ja Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von unterschiedlichen Unternehmen und Organisationen zusammenarbeiten sollen. Diese Menschen fühlen sich in erster Linie ihrem Arbeitgeber verpflichtet und erst in zweiter Linie dem Projekt. Gegen diese Pri­orisierung lässt sich durchaus etwas tun. Als in London das Terminal 5 am Flug­hafen Heathrow geplant wurde, bekamen alle Beteiligten – egal, wen sie vertraten – ein T­-Shirt übergestreift, auf dem stand: „Wir bauen Terminal 5.“ So wurde kommuniziert: Am wichtigsten ist das Projekt!

Das lässt sich leider kaum übertra­gen auf das Endlager Konrad. Hier sind die Interessen von Politik, Bürokratie und der Bevölkerung zu unterschiedlich – und das selbst innerhalb dieser verschiedenen Gruppen. Sie alle verfolgen zwar dasselbe Ziel: die höchstmögliche Sicherheit bei der Endlagerung der radioaktiven Abfälle. Aber wie diese „höchstmögliche Sicher­heit“ aussehen soll, darüber lässt sich schwerlich Einigkeit herstellen.

Porträtbild Martin Korte
Martin Korte lehrt Zelluläre Neurobiologie an der TU Braunschweig und ist zugleich Direktor des Zoologischen Institutes. Seine Forschungsschwerpunkte sind die zellulären Grundlagen von Lernen und Erinnern. Bekannt ist Korte auch als Autor populärwissenschaftlicher Bücher, etwa „Frisch im Kopf“, „Long Covid – wenn der Hirnnebel bleibt“ und „Wir sind Gedächtnis“.

Einblicke: Und dann verzögert sich alles und wird auch noch teurer.

Martin Korte: Am Ende einer guten Planung lässt sich der Kostenrahmen auch bei Großprojekten recht gut einschätzen. Zur Sicher­heit werden noch zehn Prozent als Puffer draufgeschlagen, dann passt das. Bei privatwirtschaftlichen Projekten wird das auch so gemacht. Bei politisch geprägten Projekten hingegen werden Zeit und Kosten eher optimistisch gerechnet, auch um eine möglichst hohe Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen.

Einblicke: Die Öffentlichkeit wird also getäuscht, was Kosten- und Zeitbudgets angeht?

Martin Korte: So weit würde ich nicht gehen. Die Projektverantwortlichen sind ja wirklich überzeugt, mit realistischen Budgets zu arbeiten. „Wir kriegen das hin“ ist ihre Selbsteinschätzung. Aus diversen neurowissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass Menschen generell dazu neigen, die für eine bestimmte Aufgabe benötigte Zeit deutlich zu unterschätzen.

Wir haben in unseren Hirnen einen biologisch verankerten Optimismus einprogrammiert, der dadurch bedingt ist, dass wir viele mögliche Probleme gar nicht erst durchdenken – weil sie uns nie in den Sinn kommen. So stolpern wir Menschen in Wahrnehmungsfallen.

Um ein Beispiel zu geben: Risiken, mit denen wir bereits konfrontiert wurden, haben wir auf dem Schirm – und erwarten, dass sich diese Risiken beim Großprojekt zeigen könnten. Wir sind also vorbereitet. Aber Risiken, die für unsere Ohren höchst abstrakt klingen, werden eher ignoriert oder als unwahrscheinlich abgetan. Wir nehmen wahr, was wir wahrnehmen wollen – und liegen damit häufig falsch. Da sind wir nicht besser als Truthähne.

Einblicke: Inwiefern sind Menschen wie Truthähne?

Martin Korte: Es gibt diese schöne Geschichte vom Truthahn, der Angst hat, geschlachtet zu werden. Doch jeden Tag füttert ihn der Bauer und hat ein paar freundliche Worte für ihn übrig. Das Risiko, geschlachtet zu werden, wirkt von Tag zu Tag unrealistischer. 99 Tage lang geht es dem Truthahn gut. An Tag 100 ist Thanksgiving – und der Truthahn wird geschlachtet.

Einblicke: Was zeigt: Unverhofft kommt oft. Aber wie sollen Projektmanager*innen umgehen mit Risiken, die sie nicht auf dem Schirm haben? Das ist ja ein Widerspruch in sich!

Martin Korte: Wer Erfahrungen hat mit Großprojekten, weiß, dass immer Unerwartetes passiert. Die traurige Wahrheit ist, dass viele Großprojekte – wie alle vier Jahre die Olympischen Spiele – von Menschen geplant und umgesetzt werden, die wenig Erfahrungen damit haben. Wer sich ohne Vorwissen in solche Projekte stürzt, wird erleben: Das geht schief.

Einblicke: Wie geht’s besser, wie führt man Großprojekte zum Erfolg?

Martin Korte: Wir Menschen sind nicht in der Lage, komplexe Projekte mit mehr als sieben, höchstens acht Variablen zu steuern. Daran ändern übrigens auch Computersimulationen nichts. Deshalb müssen Großprojekte so heruntergebrochen werden, dass sie steuerbar sind. Der Weg zum Ziel ist eine modulare Planung. Ich nehme also ein Großprojekt und teile es in verschiede­ne kleinere Projekte auf. Damit sinkt zwar nicht die Zahl der Probleme, doch aus einem Riesenproblem wird ein Dutzend überschaubarer Probleme – und die kann ich lösen. Und damit sind wir wieder bei der Planung: Es ist ein Zeichen guter Planung, wenn ich das Großprojekt in modulare Kleinprojekte aufsplitten kann.

Einblicke: Wie vermittele ich ein Dutzend modularer Kleinprojekte einer potenziell skeptischen Öffentlichkeit? Überfordert das nicht in seiner Komplexität?

Martin Korte: Diese Komplexität eins zu eins nachzuvollziehen, würde viele Menschen überfordern, das ist richtig. Aber das ist nicht nötig. Der modulare Aufbau wirkt nach innen, nach außen wird das Gesamtprojekt kommuniziert.

Dabei sollte man sich schon zum Start – auch das zählt zu einer guten Planung – Gedanken über die Kommunikationsstrategie machen. Dazu gehört, sich nicht auf feste Termine oder Fixsummen festzulegen, sondern eine Spannbreite zuzulassen. So kann man besser damit umgehen, wenn Budget oder Zeitplan gesprengt werden sollten. Ebenso wichtig ist, unmissverständlich zu kommunizieren, was das zentrale Ziel des Projektes ist. Im Fall des Endlagers Konrad ist klar: Sicher­heit ist das wichtigste Thema. Und wenn sich etwas verzögert, dann deshalb, weil der bestmögliche Sicherheitsstandard garantiert werden soll.

Deshalb noch einmal: Eine gute Planung ist nie zu optimistisch. Sie weiß um die Risiken und weiß, dass sie nicht alle Risiken kennt. Bei Großprojekten wird immer etwas Unerwartetes passieren. Auch das lässt sich einplanen. Doch wenn die Planung stimmt, greift mit dem ersten Spatenstich alles ineinander – und dann geht alles ganz schnell!


Der Autor

Die Fragen stellte Michael Prellberg.

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