Bürgerstimmen zum Atommülllager Asse

05.01.2019 von Florian Sievers Bericht

Einleitung

Zehn Jahre ist es her, dass beschlossen wurde, die Schachtanlage Asse unter Atomrecht zu stellen. Wie sehen die Bürgerinnen und Bürger die Situation heute? Fest steht, die Meinungen in der Region sind geteilt. Eine Erkundung vor Ort

Von Florian Sievers, Fotos: Frank Schinski

Grundstückspreise

„Gut, dass das Zeug rauskommt, das war damals mein erster Gedanke.“ Elke Köchy sitzt an ihrem Schreibtisch und schaut ins Land. Draußen herrscht fahles Winterlicht, die Sonne bricht durch die Wolkendecke. Stünde nicht die Dorfkirche im Weg, dann hätte Köchy von hier aus direkte Sicht auf die rund zehn Kilometer entfernte Asse. Sie arbeitet in der ostniedersächsischen Region seit 20 Jahren als Immobilienmaklerin, zusammen mit ihrem Lebensgefährten Thomas Mertens. Das gemeinsame Büro liegt im ersten Stock eines Einfamilienhauses im Dörfchen Ampleben, puscheliges Schilfgras und ein schwarzes Mercedes-Coupé vor der Tür. „Damals habe ich mich allerdings auch gefragt: Nur wohin dann mit dem Müll?“, ergänzt Mertens.

„Gut, dass das Zeug rauskommt, das war damals mein erster Gedanke“

Für die Immobilienmakler Köchy, 54, und Mertens, 53, hat der radioaktive Abfall in der Asse eine besondere Bedeutung. Drückt er die Grundstückspreise und schädigt damit das Geschäft? Oder ist der Kostendruck aus den teurer werdenden Oberzentren Braunschweig und Wolfsburg stärker? Wollen die Leute weg von hier? Oder zieht es sie hierher? Die beiden Makler beobachten genau, was sich verändert, seit der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) das Asse-Bergwerk zum Jahresbeginn 2009 unter Atomrecht gestellt hat. Exakt zehn Jahre später sind die Meinungen in der Region geteilt: Nach der großen Aufregung, die damals die rechtliche Änderung, der Beschluss zur Rückholung sowie die Aufarbeitung der vorangegangenen Jahrzehnte ausgelöst haben, beschäftigen sich viele Menschen noch immer intensiv mit dem Thema. Anderen dagegen ist es eher gleichgültig. Oder sie wissen nicht einmal davon.


Elke Köchy und Thomas Mertens mit einem Hund vor einem Wohnhaus
© Frank Schinski
Gute Gemeinschaft: Seit zwanzig Jahren arbeiten Elke Köchy und ihr Lebensgefährte Thomas Mertens zusammen. Ihr Büro liegt im ersten Stock ihres Hauses im Dorf Ampleben

„Man hört manchmal, dass Leute nicht in diese Gegend ziehen wollen wegen der Asse“, sagt die Maklerin Köchy, „aber uns ist so etwas bislang noch nie untergekommen.“ Insgesamt hätten die Immobilienpreise in der Region in den vergangenen Jahren um bis zu ein Drittel angezogen – die Nachfrage steigt. Nur einmal hätten vor ein paar Wochen junge Leute in letzter Minute den Kauf eines alten Fachwerkhauses in Remlingen abgesagt. Der Grund: Sorgen wegen des Atomabfalls in dem Höhenzug. Das Maklerpaar habe aber auch schon mal ein Haus direkt unterhalb des Schachts verkauft, das sei kein Problem gewesen. „Wir merken, dass neue Arbeiter und Angestellte, die im Bergwerk oder in der Verwaltung arbeiten, Wohnungen in der Region suchen“, berichtet Mertens. Vor allem dadurch bekomme man mit, dass sich etwas tue. Ansonsten sei von den Arbeiten nicht allzu viel zu hören und zu sehen.


Von den Arbeiten ist nicht viel zu sehen

„Die Lastwagen“, sagt Martina Isensee. Die sieht und hört sie durch ihr Dorf rumpeln, wenn die Fahrzeuge Lauge aus dem Asse-Schacht abtransportieren. Davon mal abgesehen, das findet auch sie, bekomme man wenig mit von dem, was vor Ort gerade vor sich geht. Isensee, 58, energiegeladen, gehört zu denjenigen, denen der Atommüll in der Asse eher keine schlaflosen Nächte bereitet. Sie betreibt seit 30 Jahren den Friseursalon „Martinas Haarstudio“ in Remlingen. Hat sogar hier gebaut. Mitten im Dorf steht ihr verklinkertes Häuschen, oben wohnt sie mit ihrer Familie, unten machen große Werbeplakate für Haarpflegeprodukte und der ins Fenster geklebte Slogan „Hier schneiden Sie gut ab“ deutlich, was in diesem Haus geboten wird. Das halbe Dorf kommt zum Haareschneiden vorbei, Männer und Frauen.

Porträtbild von Martina Isensee
© Frank Schinski
„Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass es da vorangeht. Aber es sind viele Arbeitsplätze entstanden“, sagt Friseurmeisterin Martina Isensee

„Die Leute hier machen sich um die Asse keinen großen Kopf“

Als vor zehn Jahren breit diskutiert wurde, was eigentlich schiefgelaufen ist in der Asse, hätten das vor allem Politiker zur Profilierung genutzt, denkt Isensee. „Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass es da vorangeht“, sagt die Friseurmeisterin in einer Pause zwischen zwei Haarschnitten. „Aber die haben da oben am Schacht ordentlich expandiert, da sind viele Arbeitsplätze entstanden und ein riesiger neuer Parkplatz, der immer noch zu klein ist.“ Isensee hat sich mal umgehört unter ihren Kunden. „Die Leute hier machen sich um die Asse keinen großen Kopf“, sagt sie. Im Dorf werde neu gebaut, es gebe Zuzug. „Man lebt damit.“ Eventuell hilft die Perspektive, dass sich das Problem irgendwann lösen wird, weil der Müll tatsächlich herausgeholt wird. „Aber es ist mühselig“, sagt Isensee und verschwindet wieder in ihrem Haarstudio, die nächste Kundin wartet schon auf das Haarefärben.


Rückholung – Gott sei Dank

Wilfred Voigt ringt die Hände. „Es weiß ja niemand, wie viele Fässer da unten überhaupt liegen und was genau da drin ist“, sagt er, mit Besorgnis in der Stimme. Es sei dringend an der Zeit, das herauszufinden. „Gott sei Dank hat man diesen Schritt damals beschlossen.“ Voigt ist in der Region bekannt als „Der singende Wirt“. In seinem Gasthaus „Zur Post“ im Dorf Berklingen östlich der Asse trägt er seinen Gästen gern mit Halbplayback „deutsches Liedgut“ vor, wie er sagt, Schlager und Volkslieder. Vor dem pfirsichfarbenen, mit vielen Flaggen dekorierten Haus kündigt ein Schild „Gute Küche“ an. Drinnen öffnet sich ein Gastraum mit Erntekronen an der Decke, Bierkrügen in Regalen und ausgestopften Tieren in der Ecke. Voigt verkauft neben seinem warmen Mittagessen auch Dosenwurst aus der Landschlachterei oder Honig vom Imker drei Dörfer weiter. Seit 1983 ist er hier Wirt, mit seinem Sohn arbeitet bereits die vierte Familiengeneration in dem Traditionsgasthaus. „Wollen wir hoffen, dass es die fünfte Generation auch noch geben wird und uns hier nicht alles um die Ohren fliegt“, sagt Voigt, halb im Scherz.

„Es weiß ja niemand, wie viele Fässer da unten überhaupt liegen“

Porträtbild Wilfried Voigt
© Frank Schinski
Der singende Wirt: Wilfred Voigt aus Berklingen ist ein Fan von Schlagern und Volksliedern, die er gern seinen Gästen vorträgt. In seinem Gasthof machen viele Reisegruppen Halt alt="Porträtfoto von Wilfred Voigt vor seinem Gasthaus"

Am Gasthaus „Zur Post“ machen viele Reisegesellschaften Halt, direkt vor dem Haus findet sich am Straßenrand ein Parkstreifen mit ausreichend Platz für Reisebusse. Mit seinen Gästen dreht Voigt auf Wunsch eine Runde als Reiseführer. „Auch Gruppen, die von weiter weg herkommen, ob nun aus Leipzig, Kassel oder Bielefeld, wissen Bescheid über die Asse“, erzählt er. Von einem Besuch abhalten würde das aber niemanden. Doch als vor zehn Jahren die Entscheidung fiel, den Atommüll aus dem Bergwerk zurückzuholen, hätten viele seiner Gäste und Freunde gesagt, es sei doch das Beste, alle Fässer unten zu belassen und sie einfach einzubetonieren. Die Leute machten sich Sorgen, dass die Pro¬bleme erst anfangen, wenn man den Müll herausholt. „Mich wird das dann wohl nicht mehr betreffen“, sagt der 67-Jährige. Und den Jüngeren sei das Thema eher egal.


Jüngere Generation interessiert sich nicht

So wie Vanessa Meier, 20. Sie arbeitet als Auszubildende zur pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten in der Schloss-Apotheke in der Fußgängerzone von Wolfenbüttel, mit 50.000 Einwohnern von der Asse aus die nächste größere Stadt. Im Hintergrund klingelt ständig die Türglocke der kleinen Apotheke, während Meier im weißen Kittel erzählt. Vor zwölf Jahren ist sie in die Region gezogen, von dem Kurswechsel zwei Jahre später hat sie damals in den Nachrichten gehört. Wenn sie sich richtig erinnert, sie war ja erst zehn. Und in der Schule war die Asse in der sechsten oder siebten Klasse mal ein Thema. „Das waren vielleicht zwei Schultage, an denen das besprochen wurde“, sagt Meier. Danach hat sie sich aber nicht wieder damit befasst.

Vanessa Meier vor einer Wand mit Schubladen in einer Apotheke
© Frank Schinski
Kein Thema: Die 20-jährige Vanessa Meier arbeitet in der Schloss-Apotheke in Wolfenbüttel und hat eher wenig Berührungspunkte mit der Asse

Das Zeug muss raus

Porträtbild Jürgen Lehmann
© Frank Schinski
Klare Haltung: Jürgen Lehmann aus Schöppenstedt beschäftigt sich seit 1979 mit der Asse und dem Atommüll

Ganz im Gegensatz zu Jürgen Lehmann aus Schöppenstedt: Er beschäftigt sich mit dem Schacht und dem darin eingelagerten Atommüll, seit er 1979 nach Schöppenstedt kam, in die Kleinstadt nordöstlich der Asse. Lehmann zog in eine kleine Villa direkt neben der damaligen Zuckerfabrik, mit einem riesigen Garten voller Blumen- und Gemüsebeete, Gewächshäusern und einem großen alten Taubenschlag. Schon damals bildeten er und andere Aktivisten Menschenketten um das Bergwerk, aus Protest gegen die Einlagerung. Mehr als 20 Jahre lang war Lehmann später Zweiter Vorsitzender der Ortsgruppe des Naturschutzbunds, er kennt sich bestens aus mit lokaler Fauna und Flora und kennt beispielsweise drei Stellen in der Region, an denen Salzwasser an die Erdoberfläche dringt.


Auch die Geschichte des Asse-Schachts kann der ehemalige Hauptschullehrer, 73, detailliert referieren. „Erst mit der Umwandlung von Berg- auf Atomrecht kam etwas Licht in die Angelegenheit“, sagt Lehmann am brennenden Kamin in seinem Wohnzimmer, bei Apfelsaft aus dem eigenen Garten. „Der Zeitfaktor ist beim Rausholen das Entscheidende“, erklärt er geduldig. Es dürfe nicht ewig dauern. „Aber manche Leute sagen, es werde hinausgezögert, bis es gar nicht mehr geht. Andere sagen, macht den Schacht zu, Beton drüber und vergesst es. Ich bin kein Wissenschaftler, ich weiß nicht, was richtig ist. Aber ich persönlich sage: Das Zeug muss raus – und das möglichst schnell.“

„Andere sagen, macht den Schacht zu, Beton drüber und vergesst es.“

Der Autor

Florian Sievers

Florian Sievers schreibt in Berlin als freier Journalist unter anderem für Enorm und Spex und arbeitet für das Goethe-Institut sowie das Berliner Haus der Kulturen der Welt. Ursprünglich stammt er aus der Kleinstadt Schöppenstedt nordöstlich der Asse.

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