Ein Wiedersehen mit den Bohrmuckels

Asse

02.02.2021 von Andreas Wenderoth Reportage

Einleitung

Bereits 2014 haben wir die Bohrmuckels unter Tage besucht. Das sind „diejenigen, die wenig über ihren Job sprechen, aber viel für die Zukunft aller tun“, hieß es damals. Wie sieht es heute aus? Zeit für einen neuen Besuch.

Autor: Andreas Wenderoth


Als Reviersteiger Jens Klare (46) nach einem Jahr Betriebsführungslehrgang im Juli 2020 wiederkam, erkannte er sein Bergwerk kaum wieder. Dort, wo früher die 532- Meter-Ebene der Schachtanlage Asse II gewesen war, stand er jetzt vor einer geschlossenen Mauer. Und auch die Abbaubegleitstrecke auf 595 Metern würde bald Geschichte sein. Dafür hatten sich jetzt die neuen Bohrmaschinen etabliert, bei denen man Vorschub, Drehzahl und Gegenhaltedruck über Touchscreens regelt. Klare merkte, dass die Zukunft eingekehrt war. Dass es voranging. „Aber es war auch ein komisches Gefühl. Man arbeitet dafür, dass die eigene Grube kleiner wird".


Klare ist um fünf Uhr mit der Frühschicht im Förderkorb eingefahren und steht jetzt in voller Bergmannsmontur 511 Meter unter der Erde. Die Kostenstelle seiner Abteilung hat er sich aufs Knie geschrieben, für alle Fälle, weil er sie noch nicht auswendig kann. Außerdem muss er sich noch durch die neue SAP-Software durchkämpfen, mit der Bestellungen oder die Zahlung von Rechnungen abgewickelt wird. Den jüngeren Kollegen fällt das leichter. Weil sie umgestellt haben, muss auch Klare sich umstellen. Aber es gibt auch Dinge, die bleiben: Durch das Fenster seines Untertagebüros blickt er auf ein kleines Orangenbäumchen, eine Kochnische und die Vereinsfahne vom VfL Wolfsburg in doppelter Ausführung. „Dann wollen wir mal“, sagt Klare und startet seine Runde.

In der Bohrwerkstatt ist gerade die riesige Korfmannsäge zur Reparatur aufgebockt, mit der man sich bis zu zwei Meter tief selbst in härtestes Gestein hineinsägen kann. Auf der 700-Meter-Ebene für die Erkundung von Schacht 5, über den ab 2033 die Bergung der Fässer mit radioaktiven Abfällen erfolgen soll, haben sie damit die Bohrkeller erstellt. Erst die Kontur ins Steinsalz geschnitten und dann Entlastungsschnitte reingesägt – bis sie ein schönes Schachbrettmuster hatten. Die dabei entstandenen vier Tonnen schweren Gesteinsblöcke wurden mit Druckluft herausgebrochen. Am Anfang hat die Säge Späne gezogen und die Kette wurde durch einige harte Schläge erschüttert, die sie sich zunächst nicht erklären konnten. Bis sie feststellten, dass sie ein uraltes Standrohr angesägt hatten, das auf einem alten Risswerk – also einem Untertagelageplan - lediglich mit einem Fragezeichen angegeben war. Standrohre dienen dazu, eine Bohrung zu stabilisieren. Welchen Zweck das alte Rohr hatte, ist heute nicht mehr nachvollziehbar.

Ein Bagger und Bergleute in einem Bohrkeller unter Tage
Ein historischer Fund im neu erstellten Bohrkeller auf der 700-Meter-Ebene. Das Bohrteam entdeckte eine etwa 100 Jahre alte Erkundungsbohrung.

„Wir sind vielleicht ein bisschen speziell, aber was dabei rauskommt, ist meist gar nicht so schlecht.“

Viele Menschen machen in ihrem Job irgendwas und wissen eigentlich nicht genau wofür. Bei den Bohrmuckels der Asse ist das anders. Die rund 30 Männer des Bohrteams müssen sich keine Sinnfrage stellen, denn ohne sie wäre das Projekt „Rückholung“ längst begraben. Trockene Luft, Staub und komfortable 35 Grad, das ist die Mischung, die sie zusammenschweißt. Klare sagt: „Wir sind vielleicht ein bisschen speziell, aber was dabei rauskommt, ist meist gar nicht so schlecht.“


Die Aufgaben unter Tage haben sich verändert: Hatten sie vor wenigen Jahren noch überwiegend mit Befüllbohrungen zu tun, ist die Firstspaltverfüllung heute fast abgeschlossen. Mit diesem Verfahren sind in der Schachtanlage in den vergangenen elf Jahren kleinere Hohlräume zur Stabilisierung des Bergwerks geschlossen worden. Insgesamt wurden hier 70.000 Kubikmeter Sorelbeton eingebracht. Jetzt liegen dafür vermehrt Injektionsbohrungen an. Zum Beispiel der alte Blindschacht 3, der mit Sorelbeton verfüllt wurde. Zwischen dem Sorelbeton und der Wandung sind Brüche und Risse. „Die müssen weg“, sagt Jens Klare mit großer Entschlossenheit. Die Randzonen werden punktuell mit diesem Spezialbeton nachverfüllt, um das Kriechen von salzgesättigtem Grundwasser (Lösungen) zu verhindern.


Bergleute verlegen unter Tage ein Rohr in den Boden
Millimeterarbeit bei der Verlegung der neuen Rohrleitung. Über sie wird die Baustoffanlage unter Tage mit Material versorgt.

Auch der zum Teil sehr knifflige Ein- und Ausbau von Rohrleitungen gehört jetzt zum Tagesgeschäft, den die Bohrmuckels zusammen mit anderen Gewerken bewältigen.  Die Herrichtung von Kavernenstrecken, in denen man Lösungen zwischenspeichern kann. Und natürlich die so genannten Lauge-Hebe-Bohrungen, also solche, die über eine längere Zeit offenbleiben müssen, um in ihnen Pumpen rauf und runter bewegen zu können. Zielbohrungen über 100 Meter Länge, die aufgeweitet werden, um tonnenschwere Betonkörper aus Salzbeton einzulassen, die wiederum genau mittig durchbohrt werden müssen, damit die Bohrung zuverlässig durch einen Betonring geschützt ist. „Ist ´ne Riesenhausnummer“, sagt Klare. Und dass sie am Anfang skeptisch waren, ob sich das wirklich realisieren lässt. Aber nachdem es beim Probelauf von 800 auf 850 Meter wie am Schnürchen lief, haben sie keine Bedenken mehr.


Natürlich geht auch mal etwas schief. Neulich haben sie auf der 800-Meter-Ebene gebohrt, durchschlägig nach 825 Meter. Als sie aus der Pause kamen, war es mit dem Bohren vorbei. Vielleicht, dachte Klare, haben sie versehentlich mal links herumgedreht und das Gestänge hatte sich dabei gelöst. Aber dann fanden sie heraus: 33 Meter tief im Bohrloch war das Gestänge abgerissen: Materialfehler. Klare zeigt das defekte Teilstück. Weil sie immer weiter gedreht haben, war es irgendwann so heiß gelaufen, dass der ganze Gewindebereich nach innen gefalzt wurde. Wie bekommt man das wieder raus, haben sie sich gefragt und es dann, wie Klare sagt, „relativ pfiffig gelöst“: Weil nur drei Meter bis zum Durchschlag fehlten, haben sie es mit dem „Fänger“ versucht, den man normalerweise von oben draufschraubt um ein verlorenes Gestänge zu „fischen“. Aber jetzt haben sie einfach mit dem Fänger weiter gebohrt. Wäre er durchgedreht, hätten sie die Bohrkrone freischneiden müssen. Aber sie hatten Glück.


Die Bohrmuckels wissen, dass sie viel können

Rurka bringt selten etwas aus der Ruhe. Deshalb war er auch nicht geschockt als im Juli dieser Anruf aus der Spätschicht kam. Eher etwas ratlos. Sie hatten auf der 725-Meter-Ebene die Decke der Einlagerungskammer 7 erreichen wollen und waren stattdessen irgendwo im Pfeiler zwischen Kammer und Wendelstrecke gelandet. Ausgerechnet bei der Radon-Bohrung. „Was ist da passiert?“, hat sich Rurka gefragt. Hatten sie sich etwa verzählt beim Gestängeeinbau? Nein, die ursprüngliche Länge stimmte, wie sich am nächsten Morgen zeigte. Damit hätten sie treffen müssen. Eigentlich. 

Die Bohrmuckels der Asse wissen, dass sie viel können. Und vielleicht lag es genau daran. Dass sie sich zu sicher waren. Und es so machten, wie sie es immer getan hatten. 30 Meter pro Schicht, weil das nun mal ihr Schnitt war. Klappt prima bei einer 60 Meter-Befüllbohrung, bei der es im Grunde egal ist, ob sie einen halben Meter weiter rechts oder links rauskommen. Aber hier ging es um eine Strecke von satten 210 Metern. Klare hat bei der Fehleranalyse zunächst versucht, den schwarzen Peter der Geologie zuzuschieben, bis er sich eingestehen musste, dass es vermutlich einfach daran gelegen hat, dass sie „zu forsch an die Sache rangegangen“ waren. Sie haben zu schnell gebohrt.


„Ab und zu braucht´s vielleicht so einen Schuss vor den Bug“, sagt Klare. Weil man aus Fehlern lernen kann. Und wirkliches Know How immer erst durch Erfahrung entsteht. Wenn sie die Sache wiederholen, werden alle drei Aufsichten auf den Schichten sein. Sie werden sich eine neue Anbohrgarnitur besorgt haben und längere Stabilisatoren. Das Vertrauen in die Bohrmuckels ist ungebrochen. „Die Jungs können was!“, sagt Jens Klare, der sichtlich stolz ist auf seine Bergmänner.


Zwei Bergleute stehen in einem Gang unter Tage
Eine der vielen gelungenen Bohrungen des Bohrteams.
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