Transparenz in der Endlagersuche

Endlagersuche

von Dr. Jan-Hendrik Kamlage Artikel

Die Debatte und Forderung nach Transparenz ist so alt wie die lange und konfliktreiche Suche nach einem Endlagerstandort. Kritiker*innen forderten immer wieder ein transparentes, nachvollziehbares und begründetes Verfahren zur Suche eines Standortes für hochradioaktiven Atommüll ein.

Die Forderungen nach Transparenz begleitet auch den Such- und Auswahlprozess nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll schon seit seinen Anfängen in den 1970er Jahren. Der Abschlussbericht des Arbeitskreises „Auswahlverfahren Endlagerstandorte” (AkEnd) aus dem Jahr 2002 beschwor die zentrale Rolle der Transparenz als „leitendes Prinzip” für eine gelingende Auswahl nach der schlecht begründeten und politisch motivierten Auswahl des Endlagerstandortes Gorleben. Transparenz sollte die fachliche Nachvollziehbarkeit sichern, politische Einflüsse auf das Verfahren verhindern und so die Glaubwürdigkeit in Teilen der Bevölkerung wiederherstellen (AKend 2002: 53).

Auch die „Endlagerkommission” sprach sich in ihrem Abschlussbericht 2016 vehement für Transparenz des Verfahrens aus und formulierte ein Anrecht auf Transparenz, um auch die kritischen Gruppen in der Gesellschaft einzubinden. Die breite Zustimmung und Beteiligung der Bevölkerung hänge von einer umfassenden Transparenz des Verfahrens ab. Die am Verfahren Beteiligten wurden aufgefordert, stets die Gründe für geplante Entscheidungen umfassend und rechtzeitig offenzulegen und sich frühzeitig der Kritik von Bürgerinnen und Bürgern zu stellen. Wie wir sehen, verbinden sich unterschiedliche Zwecke und Ziele mit der Forderung nach Transparenz. Sie soll Vertrauen und Glaubwürdigkeit fördern, Begründungen für Entscheidungen nachvollziehbar machen, Beteiligung ermöglichen und unbotmäßige Einflussnahme, Missmanagement und Korruption verhindern.

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Dr. Jan-Hendrik Kamlage

Ein schillernder Begriff

Wie lässt sich nun der facettenreiche Begriff der Transparenz verstehen? Im Allgemeinen verstehen wir unter Transparenz das Zurverfügungstellen von Informationen von privaten oder staatlichen Akteuren für die Öffentlichkeit über geeignete Wege der Informationsbereitstellung. Der Begriff der Transparenz ist eng verbunden mit Begriffen wie Offenheit, Rechenschaftspflicht, Kontrolle, Überwachung und der demokratischen Teilhabe. Grundsätzlich lässt sich bei Transparenz unterscheiden zwischen einem Ideal und einer Praxis der Herstellung. Die Bereitstellung von Information wiederum ist eng mit Technologien der Informationsvermittlung verknüpft. Die Digitalisierung und das Internet haben die Zugänglichkeit und die Möglichkeiten der Bereitstellung von Wissen und Informationen enorm erweitert und die Informationsmengen explodieren lassen.

Transparenz hat einen intrinsischen Wert für die Demokratie.

Transparenz hat einen intrinsischen Wert für die Demokratie. Die Freiheit der Information gilt als Voraussetzung für die Ausübung von Grund- und Freiheitsrechten, wie etwa dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Weiterhin ist die Rechenschaftspflicht der legitimierten Institutionen wie Parlamente, Regierungen, Justiz und nachgeordneten Behörden nur möglich, wenn deren Handeln nachvollziehbar und kontrollierbar ist – etwa durch Medien, Öffentlichkeit, organisierte Zivilgesellschaft und Bürgerschaft. Das Handeln von Politik und Verwaltung soll also begründet und nachvollziehbar sein. Daher müssen Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit erhalten, das Verwaltungs- und Regierungshandeln nachzuvollziehen, um sich eine informierte Meinung bilden, und um an der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung teilnehmen zu können. Regierungen und Politiker*innen werden auf dieser Basis zur Rechenschaft gezogen über den Wahlakt.

Herstellung von Transparenz

Bei der Herstellung von Transparenz lassen sich verschiedene Formen unterscheiden. Sie kann erstens durch übergeordnete Einheiten und Instanzen hergestellt werden. Dies geschieht beispielsweise, wenn Regierungen Informationen von untergeordneten Behörden und Stellen einholen und bereitstellen (Top-Down-Transparenz). Der gegenläufige Weg wird beschritten, wenn Behörden oder Gebietskörperschaften Informationen von übergeordneten Instanzen verlangen und Rechenschaft einfordern (Bottom-Up-Transparenz).

Grundsätzlich lässt sich Transparenz auf zwei Polen eines Kontinuums verorten zwischen radikaler, vollständiger Transparenz auf der einen Seite und keiner bis eingeschränkter auf der anderen Seite.

Verschiedene weitere Unterscheidungen sind mit Blick auf die Umsetzung wichtig. Zunächst lässt sich Transparenz anhand von Ergebnissen herstellen während der Prozess, der zu den Ergebnissen führte, weitgehend im Dunkeln bleibt. Demgegenüber legt die Prozesstransparenz anfallende Informationen und Eigenschaften des gesamten Prozesses komplett offen. Ergebnistransparenz hat den Vorteil, dass die Resultate als zumeist wichtigster Aspekt von politischen Prozessen zugänglich und nachvollziehbar sind. Nachteilig ist hingegen, dass Abwägungsprozesse und Begründungen und das Zustandekommen der Entscheidungen nicht nachvollziehbar sind. Dies lässt Raum für unlautere Absprachen, Einflussnahme und Manipulation. Andererseits bietet diese Variante die Möglichkeit für nicht öffentliche Beratungen und daraus resultierende Kompromisse, die sonst vielleicht nicht zustande gekommen wären.

Ergebnistransparenz hat den Vorteil, dass die Resultate als zumeist wichtigster Aspekt von politischen Prozessen zugänglich und nachvollziehbar sind.

Arten der Transparenz

Weiterhin unterscheiden wir zwischen vollständiger und effektiver Transparenz. Erstere verspricht, dass sämtliche Informationen und Daten des Prozesses und seiner Ergebnisse vollständig zugänglich sind. Zweiteres hingegen vermittelt den Anspruch, dass die Informationen nach Relevanz ausgewählt, aufgearbeitet und zur Verfügung gestellt werden. In der zeitlichen Dimension unterscheiden wir zwischen simultaner (realtime) und nachgelagerten Formen der Informationsbereitstellung. So lassen sich Beteiligungsprozesse beispielsweise mit Hilfe von Kameras oder Tonwiedergaben direkt in die Netzöffentlichkeit übertragen über Plattformen, Internetseiten und soziale Medien. Nachgelagerte Informationsvermittlung wiederum offeriert die Informationen und Daten im Anschluss an die Veranstaltungen und Beratungen. Transparenz wird so mit einem zeitlichen Abstand zu den Prozessen hergestellt.

Vollständige oder radikale Transparenz in realtime beispielsweise hat den Vorteil, dass Manipulation und Veränderungen der Informationen und Prozesse kaum möglich sind. Nachteilig ist, dass Persönlichkeitsrechte verletzt werden können oder aber, dass die Masse und Dichte an Informationen und Daten für die Öffentlichkeit nur schwer zu handhaben und zu erfassen sind. Nachgelagerte Informationsbereitstellung bietet demgegenüber den Vorteil, dass die Daten und Informationen bereinigt, der Medienlogik entsprechend aufbereitet und zielgruppenspezifisch kommuniziert werden können, umso mehr Menschen zu erreichen und zu informieren. Jede Form der Transparenzherstellung hat Vor- und Nachteile und sollte vor dem Hintergrund der jeweiligen Ziele, der vorhandenen Ressourcen und auch des gesellschaftlichen Umfeldes genauer bestimmt und abgewogen werden.

Transparenzherstellung

Die Endlagersuche stellt besondere Anforderungen an die Transparenzherstellung durch die zuständigen Institutionen.

Die Endlagersuche stellt besondere Anforderungen an die Transparenzherstellung durch die zuständigen Institutionen. Das gesellschaftliche Umfeld und Teile der organisierten Zivilgesellschaft verfolgen die Auswahl leitenden Prozesse mit großer Skepsis aufgrund der negativen historischen Erfahrungen. Außerdem sollte allen an der Entscheidung beteiligten Institutionen und Gremien klar sein, dass eine mögliche Region erhebliche Lasten und Risiken für die Gesellschaft zu tragen hat.

Daher empfiehlt es sich, Ansätze der frühzeitigen, umfassenden und vollständigen Informationsbereitstellung von Daten und Informationen entlang der einzelnen Prozessschritte anzubieten und nachvollziehbare Begründungen für jeden der Schritte zu präsentieren, um Rechenschaft abzulegen. Dies kann durchaus nachgelagert geschehen, um die Daten und Informationen gründlich auf Kohärenz und Fehler zu prüfen. Denn Fehler und Ungereimtheiten werden in diesem Umfeld nicht toleriert. Neben der vollständigen Transparenz sollte ergänzend eine effektive Transparenzherstellung angestrebt werden, um stärker die Begründungen der Auswahlschritte pointiert in die Öffentlichkeit zu kommunizieren, um den gesellschaftlichen Diskurs über die unmittelbar betroffenen Gruppen in der Gesellschaft hinaus führen zu könne.


Der Autor

Dr. Jan-Hendrik Kamlage ist Forschungsgruppenleiter Partizipation und Transformation, Centrum für Umweltmanagement, Ressourcen und Energie (CURE), Ruhr Universität Bochum. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Demokratietheorie, empirische Deliberations- und Partizipationsforschung, Nachhaltigkeit und Technikfolgenabschätzung, Bürgerbeteiligung und freiwilliges Engagement, Europäische Regionalpolitik sowie Transformative Forschung.

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