"Hier bleibe ich" - unterwegs mit einem Auszubildenden

Endlager Morsleben

von Katharina Elsner

Der Bergbau hat in Morsleben eine lange Tradition, das Bergwerk ist für viele Menschen in der Region
ein Anker der Stabilität. Auch für David Jeche, dessen Ururgroßvater einst den ersten Schacht baute –
und der hier jetzt eine Ausbildung zum Bergbautechnologen macht.

Das Licht seiner Grubenlampe huscht an der Wand entlang. David Jeche wandert zwischen Neonröhrenlicht und Dunkelheit umher, tief unter der Erde. Seine Schicht beginnt um sechs Uhr am Morgen, acht Stunden lang arbeitet er in dem ehemaligen Salzbergwerk Morsleben, ohne Internet, ohne Tageslicht und ohne zu wissen: Stürmt es da oben, schneit es, oder scheint die Sonne? Warum will ein 17-Jähriger ausgerechnet hier arbeiten?


Eine familiäre Tradition


David Jeche ist angehender Bergbautechnologe und antwortet: „Ich weiß, warum. Denn ich weiß, was auf mich zukommt.“ Jeche ist ein Kind des Bergwerks. So oft schon hörte er die Geschichten seines Vaters, seines Großvaters und seiner Onkel, alle sind oder waren hier Bergleute. Auf einem Zettel hat Jeche all seine Vorfahren aufgelistet, die in den Schacht eingefahren sind. Der erste Eintrag: sein Ururgroßvater. Der hat Ende des 19. Jahrhunderts den ersten Schacht gebaut, Schacht Marie in Beendorf unweit von Morsleben. „Das ist halt so bei uns“, sagt David Jeche. „Für mich war klar, dass ich Bergmann werde. Ich setze da auch eine Tradition fort.“


Seine Biografie ist so eng mit dem Bergwerk verwoben wie die von Morsleben selbst. Die Bergleute bauen hier schon lange kein Salz mehr ab, David Jeche und seine Kollegen arbeiten heute nur unter Tage, weil hier 37.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktive Abfälle liegen. Morsleben ist das erste deutsche Endlager, das nun nach Atomrecht stillgelegt werden soll.

Doch noch wird „auf’n Schacht“ gearbeitet. Im vergangenen Jahr haben sich acht junge Menschen auf einen Ausbildungsplatz zum Bergbautechnologen beworben. David Jeche hat ihn bekommen, mit ihm starteten noch zwei weitere Auszubildende, ein Industriemechaniker und ein Kfz-Mechatroniker. Jedes Jahr bindet das Bergwerk so junge Menschen an sich und hält sie in der Region, die eigentlich eine typische Pendlerregion ist.

Junger Bergmann steht im Schacht vor einer Maschine. Erträgt blaue Latzhose und einen gelben Helm mit Stirnlampe
© Verena Brüning
David Jeche ist angehender Bergbautechnologe. Er wollte immer Bergmann werden und die familiäre Tradition fortsetzen.

In Morsleben ist das anders. Mathias Weiß ist Bürgermeister der Verbandsgemeinde Flechtingen. Er sagt, das Bergwerk strahle Sicherheit und Stabilität aus, schon seit den 1990er-Jahren, nach der Wende, als viele Arbeitsplätze in den östlichen Bundesländern verloren gingen. „Morsleben ist für seine Bodenständigkeit bekannt“, sagt Weiß – und vergleicht das Bergwerk mit einem mittelständischen Unternehmen, das für die ansonsten eher landwirtschaftlich geprägte Region so wertvoll sei.

In einer haushohen Kammer stehen riesige Maschinen

Drei junge Bergmänner bedienen eine schwere Maschine im Schacht. Sie tragen gelbe Helme und blaue Arbeitskleidung.
© Verena Brüning
Die Bedienung der schweren Maschinen ist nicht ungefährlich. Hier muss sich jeder auf den anderen verlassen können.

Dirk Alvermann arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Bergmann, heute ist er David Jeches Ausbilder. Auch er sagt: „Viele Nachbarn arbeiteten hier schon zu DDR-Zeiten, und wir haben gutes Geld verdient.“ Jetzt stehen Alvermann und Jeche auf der ersten Sohle im Bergwerk, auf der ersten Ebene, etwa 380 Meter unter Tage. Vier Sohlen tief reicht das Bergwerk. Die Luft ist trocken und warm wie an einem Spätsommerabend. Jeche trägt Arbeitsschuhe, die Spitzen vom Salz ganz weiß, einen gelben Helm, seine Hände hakt er in seinen blauen Overall. Dirk Alvermann stupst seinen Azubi an, zusammen steigen sie auf der ersten Sohle in eines der Fahrzeuge, die dort wie auf einem Parkplatz aufgereiht stehen.

Alvermann startet den weißen VW-Caddy und fährt los. 40 Meter geht es hinab, weiter in den Berg hinein, Kurve um Kurve hinunter auf die nächste Sohle. Einmal bremst Alvermann ab, vor ihm schwingen halbdurchsichtige Lamellenvorhänge beiseite, die das Entweichen der Frischluft verhindern. Alvermann steuert das Auto hindurch. Ein paar Kurven weiter stoppt er, greift aus dem Fenster und zieht an einem Seil, das von der Decke hängt. Das schaltet die Ampel auf Grün, denn in dieser Durchfahrt ist nur Platz für ein Auto.

Sie halten auf der zweiten Sohle, wo in einer haushohen Kammer Schaufellader auf Jeche warten, mit Rädern, die ihm bis zum Brustkorb reichen. Ein paar Ecken weiter steht eine Teilschnittmaschine. Mit ihr wird Jeche später Wände und Decken fräsen, um sie von losen Brocken zu befreien – bis sie von einem regelmäßigen, feinen Rillenmuster bedeckt sind. Das vereinfacht es für die Bergleute später, die Tunnel zu sichern.

Diese Maschinen wird Jeche in seiner Ausbildung zum Bergmann auseinanderbauen und wieder zusammensetzen, er wird lernen, was der Unterschied zwischen Steinsalz, Kalisalz und Anhydrit ist, wie er Strecken ausmisst, wie der Berg arbeitet. Manche Gänge sind nur einen halben Meter breit, Angst hat er aber keine. „Für mich ist da nüscht Gefährliches dran. Dieses Bergwerk ist ja absolut stabil.“ „Natürlich befinden wir uns hier tief unter der Erde“, sagt sein Ausbilder Dirk Alvermann. „Man muss sich also immer bewusst sein, wie viel Gestein über einem lagert, dass immer etwas passieren kann. Unsere Aufgabe als Bergleute ist es, diesen Berg zu beherrschen.“ Jeche wird mit seinen Kollegen das Bergwerk so lange am Leben erhalten und sichern, bis es stillgelegt und zusammen mit den radioaktiven Abfällen für immer verschlossen werden kann. Drei Dutzend Menschen arbeiten hier unten, neben den Bergleuten Vermesser, Aufsichten und Kfz-Mechatroniker.

Ausgleich für Belastungen durch die Einlagerung radioaktiver Abfälle

Der Bergbau spielt in der Magdeburger Börde eine wichtige Rolle. Zahlreiche Unternehmen sind davon abhängig und sichern Arbeitsplätze. Aber klar ist auch: Nicht alle freuen sich über die radioaktiven Abfälle in der Region. Deswegen hat das Land Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr die Einrichtung des „Zukunftsfonds Morsleben“ beschlossen. Die Stiftung wird finanziell vom Bund unterstützt und soll Belastungen durch die Einlagerung radioaktiver Abfälle in Morsleben sowie den Weiterbetrieb des Endlagers bis zur Stilllegung ausgleichen. Bis 2023 sollen über den Fonds 1,6 Millionen Euro in die Region fließen. Danny Schonscheck vom Amt für Wirtschaft des Landkreises Börde schreibt, dass die Stiftung Vereine unterstützen, die Orte und sozialen Gemeinschaften stärken und die Region für den Tourismus herausputzen will. So plane und baue der Landkreis zum Beispiel neue Radwege und erschließe das Gebiet rund um den Lappwaldsee.

Das Bergwerk ist auch ein Experimentierfeld

David Jeche ist unter Tage wieder auf Achse. Als er den Gang auf der zweiten Sohle hochläuft, tut sich eine Kammer auf. Es riecht nach warmem Öl, Scheinwerfer fluten die Höhle. Eine Bohrmaschine breitet sich in der Kammer aus. Sie gleicht einem riesigen Insekt, das seine stählernen Gliedmaßen von der einen zur anderen Wand streckt. Seit mehr als acht Jahren experimentieren die Bergleute hier, testen, wie das Bergwerk sicher verschlossen werden kann.

Das Konzept sieht vor, dass zum einen die Hohlräume des gesamten Bergwerks mit Spezialbeton aufgefüllt werden und so die Grube stabilisieren. Zum anderen sollen Dämme aus Beton die radioaktiven Abfälle auf der vierten Sohle vom Rest der Grube und vom Wasser trennen, das zukünftig in die Grube gelangt. Hier testen die Bergleute, ob dieser Plan aufgehen kann, dafür bohren sie in den Berg. 31 Meter hinter der Kammer stößt der Bohrer auf Beton. Sie prüfen: Hält der Damm? Wie dicht ist er? Tröpfelt salzhaltiges Wasser hinein, oder hält der Damm es auf?


Der Ton ist manchmal rau, aber der Zusammenhalt ist unglaublich groß

David Jeche drückt sich Stöpsel in die Ohren, streift Arbeitshandschuhe über. Sein Kollege schmeißt die Maschine an. Sie quietscht und rattert, fährt die Bohrgestänge heraus, die David Jeche Stück für Stück abdreht. Er hievt das Stahlrohr auf seine Schulter und wuchtet es auf eine Trage, auf der die anderen Zwischenstücke schon lagern. Davids Vater Frank Jeche sagt: „Bergmann zu sein bedeutet auch, immer wieder neue Abenteuer zu erleben. Auf sich selbst gestellt und absolut zuverlässig zu sein.“ Dirk Alvermann sagt: „Der Ton ist manchmal rau, aber der Zusammenhalt ist unglaublich groß. Das ist beim Bergbau so. Wir sind aufeinander angewiesen.“

Auch David Jeche beschwört diesen Zusammenhalt. Die Arbeit unter Tage, die Dunkelheit, all das macht ihm keine Sorgen. Und die Arbeit sei top. Nur eine große Aufgabe wartet noch auf ihn: die Berufsschule. Zu lernen, die Prüfungen zu meistern, das werde in den kommenden drei Jahren eine echte Herausforderung, sagt er. „Aber ich spüre echt viel Rückenwind von den Leuten, die mich hier unterstützen.“ Sollte es in der Schule mal Probleme geben, werden ihm seine Kollegen unter Tage helfen.

Darauf kann er sich verlassen. Er vertraut seinen Kollegen, vertraut auf ihre Arbeit und die Arbeit, die auch seine Vorfahren in all den Jahrzehnten in dieses Bergwerk gesteckt haben. Er fühlt sich hier wohl. „Hier in der Gegend bleibe ich, auf jeden Fall. Hier wohnen meine Familie und Freunde, alle, die mir wichtig sind.“

Die Autorin

Katharina Elsner ist freie Journalistin und lebt in Rostock. Sie arbeitet für den NDR und den Deutschlandfunk sowie für diverse Zeitungen und Magazine.

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