„Wir betreten Neuland“

Interview

Der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies und der technische Geschäftsführer der BGE Thomas Lautsch wollen den Rückholplan für die radioaktiven Abfälle möglichst rasch umsetzen. Die Sicherheit steht dabei über allem.


Was braucht es aus Ihrer Sicht für ein erfolgreiches Genehmigungsverfahren zur Rückholung?

Olaf Lies: Um es vorweg zu nehmen: Die Rückholung der Asse-Fässer ist für mich alternativlos und hat für diese Landesregierung höchste Priorität. Aber klar ist auch: Dieser hochkomplexe und aufwendige Prozess wird sich über Jahrzehnte hinziehen. Die Rückholung der radioaktiven Abfälle aus der Asse ist ein ebenso umfassendes wie komplexes und langjähriges Vorhaben. Umso wichtiger ist es, alle hierfür erforderlichen Rechts- und Regelungsbereiche mit in den Blick zu nehmen. Die Landesregierung hat daher zur Bearbeitung des Verfahrens Kräfte gebündelt und neue, effiziente Strukturen geschaffen.

Mit Andreas Sikorski wurde der Leiter der Abteilung 4 „Atomaufsicht und Strahlenschutz“ in meinem Ministerium von der Landesregierung auch mit der Gesamtkoordination der Rückholung der radioaktiven Abfälle beauftragt und als Gesamtkoordinator Asse II benannt. Außerdem wurde im Ministerium als der zentralen Genehmigungsbehörde die Geschäftsstelle Asse II eingerichtet. Dort sollen ab sofort alle Fäden der hochkomplexen Genehmigungsverfahren zusammenlaufen. Eine Schlüsselrolle nimmt neben dem Ministerium die Vorhabenträgerin BGE ein, da die sogenannte Lex Asse (§ 57b des Atomgesetzes) dem Antragsteller die Gestaltungsmöglichkeiten im Genehmigungsverfahren einräumt.


Infografik: Die radioaktiven Abfälle liegen derzeit auf drei Ebenen in 511, 725 und 750 Metern Tiefe. Bevor diese zurückgeholt werden können, müssen der Bergungsschacht Asse 5, die Abfallbehandlungsanlage und das Zwischenlager bereitstehen. Ab 2033 sollen die ersten Fässer an die Tagesoberfläche geholt werden.

Thomas Lautsch: Die Rückholung ist ein großes und vielfältiges Projekt. Und wegen der ungewissen Entwicklung des Lösungszutritts ist Eile geboten. Deswegen ist es gut, dass wir mit den organisatorischen Veränderungen im Bereich des Umweltministeriums einen zentralen und kompetenten Ansprechpartner haben. Der Erfolg des Verfahrens wird von einer engen Abstimmung zwischen der BGE und den Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden abhängen. Wir wollen frühzeitig den Umfang und den Inhalt der vorzulegenden Antragsunterlagen festlegen. Nur so können wir diese Unterlagen zielgerichtet und rechtssicher erarbeiten.

Darüber hinaus wird der Erfolg des Projektes maßgeblich auch von der Akzeptanz des Projektes in der Region abhängen.

Dabei liegt es in der Natur eines solch gro­ßen  Projektes,  dass  wir  auch  unbequeme  Entscheidungen treffen müssen. Die Dis­kussion um die Standortentscheidung für das Zwischenlager ist ein Beispiel dafür. Wir  sollten  aber  nicht  das  gemeinsame  Ziel – die sichere Rückholung des Atom­mülls aus der Schachtanlage Asse II – aus den Augen verlieren.

„Die Lex Asse gewährleistet eine höhere Genehmigungseffizienz“, Olaf Lies

Zwei Männer unterhalten sich. Sie tragen weiße Schutzkleidung und weiße Schutzhelme.
© Stefan Sobotta
Thomas Lautsch (links), technischer Geschäftsführer der BGE, und Olaf Lies (SPD), niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, bei einem Besuch der Schachtanlage Asse II im Jahr 2018

Welche Rolle spielt der im April 2020 vorgestellte Rückholplan?

Lies: Der Rückholplan ist der erste planerische Ansatz, das Gesamtvorhaben der Rückholung und Stilllegung der Asse zu beschreiben und die einzelnen hierzu erforderlichen Maßnahmen und Einzelvorhaben einzuordnen. Er ist aber noch ziemlich abstrakt und muss in den weiteren Schritten in Ausführungsplanungen und schließlich in prüffähigen Genehmigungsantragsunterlagen konkretisiert werden.

Lautsch: Der Rückholplan macht klar, was wir vorhaben. Natürlich können wir heute noch nicht jedes Detail genau beschreiben. Wichtig ist jedoch, dass wir auch mal einen klaren Anfang formulieren und den Weg beschreiben, den wir bis 2033 gehen wollen. Der Rückholplan ersetzt nicht die detaillierten genehmigungsspezifischen Unterlagen. Er ist aber Grundlage für die Abstimmungen mit den Genehmigungsbehörden sowie mit den Interessenvertretungen in der Region. Auch werden wir den Rückholplan fortschreiben. Wir wollen, dass der Prozess zur Entwicklung des Vorhabens für alle Beteiligten nachvollziehbar dokumentiert ist.


Wie können Sie erreichen, dass das Verfahren möglichst schnell abge­schlossen werden kann?

Lies: Um den Prozess voranzutreiben, hat die BGE angekündigt, verschiedene Genehmigungen mit bestmöglicher Konzentrationswirkung beantragen zu wollen. Die sogenannte Lex Asse bietet dafür sowohl den erforderlichen Rechts­rahmen als auch die Möglichkeit, Teilgenehmigungen oder vorläufige Zulassungen zu erteilen. Sie gewährleistet damit eine höhere Genehmigungseffizienz.

Lautsch: Vor allem wollen wir ein leistungsfähiges Team aufbauen, das mit Professionalität und Leidenschaft die Pla­nungen genehmigungsfähig macht. Dabei sind wir ein gutes Stück vorangekommen, an den Standorten Salzgitter, Wolfenbüttel und Remlingen beschäftigen sich mehr als 50 Ingenieure und weitere Expertinnen sowie viele Partnerorganisationen mit dem Rückholprojekt. Ganz wichtig ist der Rückhalt in der Region, so wie wir ihn für die seismische Kampagne vor einem Jahr bereits eindrucksvoll erleben konnten.


„Unsere Aufgabe ist es, Sicherheit zu schaffen“, Thomas Lautsch

Lies: Um diesem Ansatz des Gesetzes und den Planungen der BGE genügen zu können, hat das Ministerium – wie bereits gesagt – organisatorische Anpassungen vorgenommen, aber auch neue Stellen für die Bearbeitung der Genehmigungsverfahren geschaffen. In einem ersten Schritt sind hier für das Jahr 2021 vier neue Stellen im Landeshaushalt eingebracht worden; weitere Stellen sind entsprechend dem wachsenden Genehmigungsumfang in nachfolgenden Jahren eingeplant. Es ist vorgesehen, die BGE im Vorfeld der konkreten Antragstellung in regelmäßigen gemeinsamen Besprechungen zu beraten und auch schon zu diesem Zeitpunkt Sachverständige heranzuziehen, um eine zügige Bearbeitung der Anträge vorzubereiten.

Lautsch: Eine unserer wesentlichen Aufgaben wird es sein, bestehende Wissenslücken zu schließen. Nur so können wir belastbare Genehmigungsunterlagen erarbeiten. Wir untersuchen dazu in den kommenden Monaten weiter den tiefen Untergrund östlich des Bestandsbergwerks. Auch erkunden wir weitere Einlagerungskammern und treiben die Planungen für die Bergung der Abfälle weiter voran. Entsprechende Vergaben sind initiiert.

Voraussetzung für die Rückholung ist eine bestmögliche Vorsorge sowohl zur Stabilisierung des Wasserzutritts als auch für den Fall, dass der Zutritt größer und möglicherweise unbeherrschbar wird. Das kann jederzeit passieren. Es ist daher auch unsere Aufgabe, die Maßnahmen der Not­fallplanung umzusetzen, so wie im Rückholplan beschrieben. Wichtig ist also die weitere Verfüllung und Abdichtung der Grube sowie die Ermöglichung einer Gegenflutung im Falle des Absaufens. So oder so, unsere Aufgabe ist es, Sicherheit zu schaffen.


Was sind konkret die nächsten Schritte auf dem Weg zur Genehmi­gung der Rückholung?

Lautsch: Wir planen, die Rückholung im Wesentlichen in vier Antragskomplexen zu beantragen. Antragskomplex I beschäftigt sich mit dem Bau einer Schachtröhre für den neuen Schacht Asse 5 und mit der Anbindung an das bestehende Bergwerk. Für den ersten der vier Antragskomplexe haben wir im September eine planerische Mitteilung vorgelegt und diese im Dezember 2020 mit dem Umweltministerium und den TöB erstmals diskutiert. Auf Basis der Gespräche werden wir nun die Antragsunterlagen erstellen. Die weiteren Antragskomplexe werden die Errichtung der für die Rückholung notwendigen Infrastruktur über und unter Tage, die Abfallbehandlung und Zwischenlagerung der Abfälle sowie die eigentliche Bergung der Abfälle beinhalten. In alle Genehmigungsverfahren werden wir bis 2024 einsteigen.

Lies: In der ersten sogenannten Antragskonferenz für die TöB im Dezember 2020 wurde das Gesamtvorhaben vor­gestellt und der erste Genehmigungskomplex im Rahmen einer planerischen Mitteilung erläutert. Dabei wurden die grundlegenden technischen, radiologischen und rechtlichen Abhängigkeiten und Zusammenhänge in der planerischen Mit­teilung sichtbar gemacht. In einem nächs­ten Schritt sind die im Komplex 1 dargestellten Maßnahmen vom Antragsteller fachlich und inhaltlich weiter zu untermauern und mit meinem Ministerium und anderen TöB abzustimmen. Parallel dazu ist das separat erforderliche Raumordnungsverfahren von der BGE mit den zuständigen Behörden zu betreiben.

Blick nach oben. Man sieht ein Loch in der Decke der Einlagerungskammer. Durch das Loch wird ein gelbes Fass abgesenkt.
© Archiv BGE
Das Bild aus dem Jahr 1972 zeigt einen Einlagerungsversuch im Bergwerk Asse. Auf diese Art und Weise gelangten zwischen 1972 und 1977 insgesamt 1301 Fässer mit radioaktiven Abfällen in die Kammer 8a. Dazu wurden sie aus einer darüberliegenden Beschickungskammer durch eine Bohrung abgeseilt. Die Einlagerungskammer 8a ist etwa 500 Quadratmeter groß und rund 14 Meter hoch. Sie liegt in einer Tiefe von 511 Metern.


Der Autor

Die Fragen stellte Michael Prellberg

Wegen der besonderen Umstände der Corona-Pandemie wurde das Interview schriftlich geführt.

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