Warum Tempo Sicherheit schafft
Endlagersuche
20.11.2025 von Daniela Zimmer
Gründlichkeit gilt vielen als Bremsklotz – zu langsam für eine Welt im Krisenmodus. Doch sie schafft Vertrauen. Gerade in der Endlagersuche zeigt sich aber, dass Sicherheit manchmal Tempo braucht.
Gründlichkeit gehört zu jenen Begriffen, die heute stärker polarisieren als früher. Für die einen ist Gründlichkeit langsam, bürokratisch, überholt. Für die anderen bedeutet sie, Verantwortung ernst zu nehmen und langfristig zu denken. Doch welche Sicht stimmt nun? Vielleicht geht es weniger darum, wer recht hat, sondern darum, welche Folgen es hat, wenn Gründlichkeit zur Ausrede für Stillstand wird. Gerade in sicherheitsrelevanten Kontexten kann zu viel Abwarten gefährlich sein. Wenn Entscheidungen aufgeschoben oder Beteiligungsverfahren auf Jahre vertagt werden, wird aus dem Anspruch auf Sicherheit ein Risiko.
„Gerade in sicherheitsrelevanten Kontexten kann zu viel Abwarten gefährlich sein.“
Endlagersuche als Prüfstein
In genau diesem Spannungsfeld bewegt sich das Standortauswahlverfahren für das deutsche Atommüllendlager. Das Projekt verlangt höchste Anforderungen an Sicherheit, Transparenz und Beteiligung. Ohne Gründlichkeit undenkbar – aber sie allein reicht nicht. Der Wunsch nach Tempo ist Ausdruck einer realen Notlage: Die bestehenden Zwischenlager sind für den Dauerbetrieb nicht ausgelegt. Gleichzeitig droht dem Verfahren die personelle und institutionelle
Erosion – etwa wenn Wissen verloren geht, weil erfahrene Fachleute in den Ruhestand treten, lange bevor das Endlager gebaut ist. Wer Gründlichkeit fordert, muss also auch beantworten, wie Geduld organisiert wird: fachlich, politisch, gesellschaftlich. Zudem schaffen mehr Daten nicht automatisch mehr Sicherheit. Die kognitive Forschung weist auf das Phänomen der Entscheidungsparalyse hin: Ein Zuviel an Information kann lähmen. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Herbert A. Simon formulierte deshalb die sogenannte Satisficing-Strategie. Der Begriff ist ein Kofferwort aus „satisfy“ (befriedigen) und „suffice“ (ausreichen) und beschreibt die Suche nach einer Lösung, die gut genug ist, wenn auch nicht perfekt.
Verantwortung braucht Tempo
„Die großen Aufgaben unserer Zeit [...] verlangen nach Entschlossenheit, nach Beteiligung, nach Genauigkeit.“
Was wir deshalb brauchen, ist ein neues Verständnis von Gründlichkeit: Gründlich zu sein, heißt, sich die Zeit für gute Entscheidungen zu nehmen, aber auch zu erkennen, wann genug geprüft, genug gewartet, genug erklärt wurde. Es bedeutet, Verantwortung nicht aufzuschieben, sondern aktiv zu gestalten. Die großen Aufgaben unserer Zeit – Energiewende, Klimaschutz, Infrastrukturplanung – verlangen nach Entschlossenheit, nach Beteiligung, nach Genauigkeit. Und sie verlangen nach Tempo. Denn eine Gesellschaft, die nicht zu tragfähigen Entscheidungen kommt, gefährdet am Ende nicht nur ihre Sicherheit, sondern auch ihre Handlungsfähigkeit. Tempo ist nicht per se ein Widerspruch zur Verantwortung. Es ist oft ihre Voraussetzung.