Unsichtbares sichtbar machen

Asse

30.10.2025 von Florian Sievers Artikel

Mit aufwendigen Erkundungen hat die BGE in den vergangenen Jahren die Asse von allen Seiten durchleuchtet. Aus den dabei erhobenen Daten ist die erste detaillierte 3D-Darstellung der Umgebung entstanden – die Grundlage für die sichere Stilllegung des Bergwerks.


Stephan Szigeti muss nur die Maus auf seinem Schreibtisch etwas drehen und schon steht die gesamte Asse auf dem Kopf, vom Deckgebirge über den Salzstock bis zum Bergwerk darin. Nun kann er am Bildschirm genau eine Position im Salzgestein inspizieren, an der ein neuer Raum entstehen soll. Der Bergbauingenieur nutzt dafür eine Software zur Bergwerksplanung, die die Anlage samt umliegendem Gestein dreidimensional darstellt. Alle Kammern, Schächte, Bohrlöcher oder Gesteinsschichten werden dabei bis ins Detail in Blau, Orange oder Grün angezeigt.

Szigeti ist Gruppenleiter Rückholbergwerk bei der BGE und damit verantwortlich für die Planung der neuen Anlage, über die in Zukunft der Atommüll aus der Asse geholt werden soll. In seinem 3D-Modell kann er sich mit einigen Mausklicks zum Beispiel anzeigen lassen, wo die Grenzen des Salzstocks verlaufen oder an welcher Stelle welche Art von Gestein liegt. „Wir können in dem Modell genau identifizieren, wo wir geeignete geologische Schichten finden, in denen wir das Rückholbergwerk sicher anlegen können“, sagt Szigeti. Die Planungsgruppe feilt bereits an Details für die Errichtung eines neuen Schachts für die Rückholung.

Auf einem Feld steht ein großes weißes Fahrzeug. Im Hintergrund ist ein Wald zu sehen vor blauem Himmel.
Diese tonnenschweren Fahrzeuge erzeugen Schallwellen, deren Reflexionen weit in die Tiefe reichen.

Unterschiedliche Techniken und Methoden

Eine Hand berührt eines von zwei Rohren aus Metall.
Die Bohrungen mit verschiedenen Bohrköpfen erreichten eine Tiefe von bis zu 900 Metern.

Die 3D-Darstellung, mit der Stephan Szigeti und seine Kolleg*innen derzeit das Rückholbergwerk planen, ist das Ergebnis von großflächigen Erkundungsarbeiten im Asse-Bergwerk und in der näheren Umgebung. Mit ihnen legt die BGE die Grundlage für eine behördliche Genehmigung des Projekts Rückholung und danach für eine sichere Stilllegung. Verantwortlich für das Erheben der Daten ist Martina Herold, die Leiterin Erkundung in der Abteilung Geowissenschaften der BGE: „Wir sorgen dafür, dass das Projekt alle notwendigen Informationen hat, um sicher planen zu können: damit es vorangeht“, erklärt die Geologin. Um das zu erreichen, haben Herold und ihr Team das Wissen von Expert*innen unterschiedlichster Fachrichtungen zusammengeführt. In den vergangenen Jahren wurde die Asse auf diese Weise mit einem ganzen Baukasten an unterschiedlichen Techniken und Methoden von allen Seiten durchleuchtet.

Zentral war dabei die sogenannte 3D-Seismik. Bei diesem Verfahren werden Schallwellen in den Boden gesendet und dann Reflexionen von diesen empfangen, die von unterschiedlichen Gesteinsformationen abprallen. An rund 30.000 Punkten rund um die Asse schickten im Frühjahr 2020 sogenannte Vibrationsfahrzeuge mit absenkbaren Bodenplatten seismische Wellen in den Untergrund. Die 24 Tonnen schweren Trucks fuhren dabei extra mit reduziertem Reifendruck, um Felder, Wege und Wiesen zu schonen. An rund 6.000 nicht befahrbaren Stellen, vor allem im Wald, wurden die Wellen mit kleinen Sprengungen in Bohrlöchern erzeugt. Rund 45.000 kabellose Messgeräte, die per GPS an exakt festgelegten Positionen auslagen, zeichneten anschließenddas Echo aus dem Untergrund auf. Auf diese Weise ließen sich die geologischen Strukturen der Asse bis in über 2.000 Meter Tiefe erfassen. Ergänzt wurde die Erkundung durch weitere Methoden – von Bohrungen über und unter Tage, verschiedenen geophysikalischen Verfahren wie Radar und anderen Bohrlochmessungen bis zum Einsatz von Akustiksensoren, die jedes Knistern und Knacken im Salzstock registrieren. „Wir haben sehr genau in den Untergrund geschaut“, sagt die Erkundungsleiterin Herold, „und die Kombination unterschiedlicher Erkundungsmethoden hat uns dabei sehr aufschlussreiche Informationen zur geologischen Struktur geliefert.“

Riesiger Datenberg

Die ganzen Informationen stecken in einem riesigen Datenberg. Dazu kommen aus Erkundungsbohrungen über und unter Tage rund 5.600 Meter Bohrkerne, die genau untersucht wurden, und zahlreiche Messdaten aus den Bohrlöchern. All diese Daten landeten auf den Schreibtischen von Dr. Christian Buxbaum-Conradi und seinem Team. Er ist Gruppenleiter Geomodellierung bei der BGE – und damit verantwortlich dafür, dass die teils sehr unterschiedlichen Informationen in jenes dreidimensionale Modell einfließen, mit dem sich die Geologie der Asse per Mausklick von allen Seiten betrachten lässt. „Wir fügen Schritt für Schritt immer neue Erkenntnisse hinzu und entwickeln das Modell damit fortlaufend weiter“, erklärt Buxbaum-Conradi. Das Resultat ist die erste vollräumliche Darstellung der Asse in hoher Auflösung überhaupt. Darauf lässt sich nun an jedem Punkt – und nicht nur in bestimmten geologischen Schnitten – exakt erkennen, welche Gesteinsarten in welcher Tiefe und in welcher Dicke vorkommen und in welchen Bereichen die Schichten eher fest oder eher aufgelockert sind. Im Modell wurden auch Bruchflächen im Gestein genau festgehalten, die im Laufe der Salzstockbildung entstanden sind. Entsprechende Strukturen sowie auch potenziell wasserführende Schichten lassen sich gut im Modell verfolgen. „Wir können all das heute zum ersten Mal in hoher Qualität dreidimensional darstellen“, sagt Buxbaum-Conradi.

Das 3D-Modell können nun alle beteiligten BGE-Abteilungen aufrufen, wenn sie sich ein genaues Bild von der Lage vor Ort verschaffen möchten. Dazu gehört auch das Team von Dr. Grit Gärtner, die als Gruppenleiterin Sicherheitsanalysen bewertet, mit welchen Risiken der Betrieb des Bergwerks und die zukünftige Stilllegung der Asse verbunden sein können. „Wir schauen uns alle Daten aus den Erkundungen und das daraus entstandene 3D-Modell genau an, erstellen auf dieser Basis die verschiedenen Berechnungsmodelle – und dann fangen wir an zu rechnen“, sagt sie.

Ob die Rückholung der radioaktiven Abfälle gelingt, ist nicht sicher. Gärtner und ihre Gruppe schätzen über Modellrechnungen – sogenannte Konsequenzenanalysen – ab, welche Menge an Radioaktivität nach einem Verschluss des Bergwerks aus der Anlage an die Oberfläche gelangen kann und wie lange das dauern könnte. Anschließend wird die daraus resultierende Belastung für Mensch und Umwelt berechnet. Dabei geht es um die Sicherheit der Region. Solche Berechnungen können sich Zehntausende von Jahren in die Zukunft erstrecken.

Nebeneinander aufgereiht liegen unzählige Bohrkerne.
Rund 5.600 Bohrkerne hat die BGE über die Jahre gewonnen und untersucht.

Belastbare Sicherheitsanalysen

Ein unterirdischer schwach beleuchteter Tunnel, in dem am Boden Wasser steht.
Salzwasseraustritt in der Gleitbogenausbaustrecke in 725 Meter Tiefe

Ziel von Gärtner und ihren Kolleg*innen sind belastbare Sicherheitsanalysen für die Rückholung und Stilllegung, die auch ein akribisches Genehmigungsverfahren überstehen. Nach Betrachtung aller nun erhobenen Informationen und des daraus entstandenen 3D-Modells ist das Urteil der Sicherheitsexpertin Gärtner eindeutig: „Es ist eine Herausforderung und noch ein ordentliches Stück Weg“, sagt sie, „aber wir werden es schaffen, mit unseren Sicherheitsanalysen das Genehmigungsverfahren erfolgreich zu durchlaufen.“ Mehr zu den Ergebnissen der Untersuchungen und ihre Auswirkungen auf die Bergung der Abfälle aus der Asse lesen Sie auch im Interview auf Seite 12.

Geologisches 3D-Modell der Asse: Die Deckgebirgsschichten der Südflanke sind in verschiedenen Farben dargesrellt.

Interview

Drei Fragen an Dr. Saleem Chaudry von der geologischen Beratung am Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie, Hannover

Was ist die Aufgabe des Geologischen Dienstes? 

Wir beraten unter anderem die Bergbehörde bei uns im Haus sowie das niedersächsische Umweltministerium. Dafür prüfen wir geowissenschaftliche Daten der BGE und aus anderen Quellen. Die Bergbehörde beaufsichtigt die Asse in allen bergbaulichen Fragen – von Einrichtungen unter Tage bis zum Arbeitsschutz.

Wie bewerten Sie die Erkundungsprojekte? 

Der Kenntnisstand ist durch die Kombination unterschiedlicher Methoden viel besser geworden. Bohrungen, 3D-Seismik, Akustik- und Erschütterungssensoren haben wichtige Informationen dazu geliefert, was im Bergwerk geschieht und wo sich Lösung im Bergwerk befindet und bewegt.

Wie ist dabei Ihr Kenntnisstand? 

In der Asse wird seit Jahren ungefähr dieselbe Menge an Lösung gefasst. Der größte Teil wurde lange an einer Stelle im Bergwerk gesammelt und abgepumpt. Doch durch Bewegungen im Berg funktioniert das zurzeit nicht mehr, sodass die Lösung in tiefere Sohlen läuft, wo sie gesammelt wird. Bis dorthin hat sie keinen Kontakt mit dem Atommüll in den Einlagerungskammern. Das Versagen der Sammelstelle ist ein Problem, das die BGE angehen muss. Sie hat viel zur Stabilisierung des Bergwerks unternommen. An den Messergebnissen sieht man, dass sich die Lage wesentlich langsamer verändert als vor 15 Jahren angenommen. Es gibt aus unserer Sicht derzeit keine Hinweise darauf, dass das Bergwerk aktuell im Begriff ist, unkontrollierbar mit Lösung vollzulaufen.

Poträtfoto: Ein Mann mit Glatze und Brille lächelt seitlich in die Kamera. Er trägt ein weißes Hemd unter einem schwarzen Sakko.
Carina Wehrstedt
Dr. Saleem Chaudry

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