Wir müssen reden - es geht um Bürgerbeteiligung

von Michael Prellberg Artikel

Auf der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle wird ganz Deutschland nach wissenschaftlichen Kriterien auf geeignete Standorte geprüft. Das Verfahren ist aufwendig, langwierig – und transparent. Bürger*innen reden mit und sind von Anfang an in die Fachdebatten eingebunden.

Es ist einiges falsch gelaufen bei der Suche nach Endlagern für radioaktive Abfälle. Es gab fragwürdige Empfehlungen, überstürzte Entscheidungen und nicht zuletzt politische Festlegungen. Polizei in Rüstung und Wasserwerfer auf der einen Seite, an Gleisen festgekettete Demonstrierende auf der anderen Seite: So soll es bei der Endlagersuche nicht mehr laufen. Wann dieser Kurswechsel erstmals ins öffentliche Bewusstsein trat, lässt sich genau bestimmen. „Salzstock Gorleben nicht geeignet“ als Atommüll-Endlager: Das verkündete Susanne Daubner am 28. September 2020 um 20 Uhr in der ARD als Topmeldung der Tagesschau.

Kein Endlager in Gorleben – was für ein Signal! Das 600-Einwohner-Dorf im Wendland ist Symbol für eine Atompolitik, die wenig auf Bürger*innen hört. Zugleich ist Gorleben ein Symbol für den anhaltenden Protest von Menschen vor Ort, die sich politischer Willkür nicht fügen. Schon 1979 informierten Landwirte aus dem Wendland vor 100.000 demonstrierenden Menschen den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten: „Lieber Herr Albrecht, wir wollen deinen Schiet nicht haben!


Niemand will den „Schiet“ haben, daran hat sich bis heute nichts geändert

Niemand will den „Schiet“ haben, daran hat sich bis heute nichts geändert. Doch irgendwo müssen die hochradioaktiven Abfälle tief im Untergrund gelagert werden – sicher für mindestens eine Million Jahre. Deshalb macht Deutschland Tabula rasa und fängt von vorne an, mit streng wissenschaftlichen Kriterien und einem vollkommen offenen Prozess. Anfangs war die Landkarte komplett weiß, 2020 hat die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) sie erstmals eingefärbt: Etwa die Hälfte des Landes bleibt derzeit noch im Blick für die Standortauswahl.


Wissenschaft im Vordergrund


„Die betroffene Region wird den ermittelten Standort nur dann tolerieren können, wenn das Verfahren transparent abläuft, alle Einwände gehört wurden und die Entscheidung nachvollziehbar ist“, heißt es aus dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) als zuständiger Beteiligungsbehörde. Deshalb können und sollen „Bürgerinnen und Bürger den Auswahlprozess mitgestalten und auf verschiedenen Ebenen Einfluss nehmen“. Das hat mit bundesweiten Fachkonferenzen bereits begonnen. Das Spektrum wird später erweitert, beispielsweise mit Regionalkonferenzen vor Ort.

Bei den bereits abgeschlossenen ersten Fachkonferenzen steht – wie im gesamten Verfahren – die Wissenschaft im Vordergrund: Was ist aus geologischen Gründen die beste Option für ein Atommüll-Endlager? Die Eckdaten sind geklärt: Das Endlager muss unterirdisch in Salz-, Ton- oder kristallinen Wirtsgesteinen angelegt werden. Diese Gesteine müssen Formationen bilden, die mindestens 300 Meter unter der Oberfläche liegen, mindestens 100 Meter mächtig sowie hitzebeständig und wasserdicht sein. Über alles Weitere wird diskutiert. Dabei bleiben die Wissenschaftler*innen keineswegs unter sich: Bewusst sollen sich alle Interessierten mit Fragen, Hinweisen und Kritik einbringen.

Der Gesetzgeber hat den Beteiligten aufgegeben, wissenschaftliche Erkenntnisse, Methoden und Kriterien während des gesamten Standortauswahlverfahrens transparent zu kommunizieren – und sie hinterfragen zu lassen. In den drei Fachkonferenzen dieses Jahres ging es dabei erst einmal um den Blick zurück. Diskutiert wurde der „Zwischenbericht Teilgebiete“ vom September 2020, der großzügig und nach Aktenlage alle Gesteinsformationen – insgesamt 90 sogenannte Teilgebiete – ausweist, die theoretisch infrage kommen könnten. Der Zwischenbericht erwartet immerhin für rund 54 Prozent der bundesdeutschen Fläche günstige geologische Voraussetzungen für die Endlagerung radioaktiver Abfälle.

Um die Zahl der wirklichen Optionen genauer bestimmen zu können, wird jetzt im nächsten Schritt in repräsentativen vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen nach geologischen und später bei Bedarf auch nach planungswissenschaftlichen Kriterien genauer gefiltert.


Eine Million Jahre müssen die Abfälle sicher gelagert sein. Dieser Zeitraum entzieht sich unserer Vorstellungskraft. In ihren Illustrationen macht Charlotte Apel die Dimensionen fassbar. Sie entstanden im Rahmen eines Projekts an der Hamburger University of Europe for Applied Sciences.

Öffentlichkeit bleibt am Ball

Eine formelle Öffentlichkeitsbeteiligung ist laut Standortauswahlgesetz erst wieder vorgesehen, wenn diese Ergebnisse vorliegen. Diese „Partizipationslücke“, wie sie auch genannt wird, hat viele Teilnehmer*innen der Fachkonferenzen verärgert. „Die Menschen wollen da weiter dranbleiben“, sagt beispielsweise Sabrina Kaestner, Bürgermeisterin im oberfränkischen Marktleuthen. Schon zuvor hatte es jede Menge Kritik gegeben, etwa an der Form des Zwischenberichtes: 90 Teilgebiete auf mehr als der Hälfte Deutschlands – damit werde der Suchraum kaum eingeschränkt. „Niemand fühlt sich betroffen“, kritisiert etwa die Atommüllkonferenz, ein Zusammenschluss von rund 30 Initiativen. Auch das Verfahren selbst stößt auf Kritik: „Der Start verlief sehr holprig“, sagt etwa Asta von Oppen vom Rechtshilfe e.V. Gorleben. „Partizipation sollte nicht nur reine Information, sondern echte Mitwirkung sein.“ Viele Hinweise und Nachfragen seien auf der Fachkonferenz einfach wegmoderiert worden, monieren auch andere Teilnehmer*innen.


„Wir müssen gemeinsam erkunden, wie wir erkunden wollen.“

Nach dem August-Termin der Fachkonferenz sollte eigentlich Schluss sein mit der formellen Bürgerbeteiligung. Es wäre in den Augen vieler das Ende der versprochenen Transparenz gewesen. Wenn die Suche nach dem Endlager „für die nächsten Jahre im Tunnel verschwindet“, sagt Stephan Wichert-von Holten, der für das Wendland zuständige Superintendent der evangelischen Kirche, drohe das gesamte Projekt zu implodieren. Die in der Fachkonferenz gezeigte Gesprächsbereitschaft der BGE sei der beste Ansatz, um Vertrauen aufzubauen. Dieses keimende Pflänzchen sei in Gefahr, wenn jetzt die Öffentlichkeit abgekoppelt wird. Transparenz? Offenheit? Perdu. Wichert-von Holten fordert die Bürgerbeteiligung auch im nächsten Schritt: „Wir müssen gemeinsam erkunden, wie wir erkunden wollen.“


Die Botschaft ist angekommen. Über ein Beteiligungsformat, das gerade entwickelt wird, soll die Öffentlichkeit auch die nächsten Schritte begleiten. Ein „breiter Kreis von vernetzten Interessierten, offen für alle“ – so stellt sich das BASE das Forum vor. Sämtliche Arbeitsfortschritte sollen „transparent, öffentlich und kontinuierlich“ verfolgt und kritisch hinterfragt werden.

Der ehrliche Wille, in diesen Dialog einzusteigen, war in den Fachkonferenzen deutlich zu spüren, sagt Marktleuthens Bürgermeisterin Sabrina Kaestner. Sie hat sich in der Organisation der Fachkonferenz engagiert und war positiv überrascht von dem Niveau der Diskussion. Jetzt ist sie erleichtert, dass die Öffentlichkeit am Ball bleiben kann: „Ich finde es großartig, dass von allen Seiten der Wille zu spüren ist, die Öffentlichkeit mitzunehmen – auch wenn es heißt, über das hinauszugehen, was vom Gesetz vorgesehen ist.“ Sie ist zuversichtlich, dass gemeinsam ein Konzept erarbeitet werden kann, mit dem alle Beteiligten zufrieden sind.


Nervosität vor Ort


Es kann kein Zuviel an Transparenz geben. Denn selbst was formal richtig ist, kann leichtfertig Vertrauen verspielen, wenn es nicht offen kommuniziert wird. Das hat auch die BGE lernen müssen. Sie hatte im Juli vier Gebiete benannt, in denen sie ihre Methoden entwickeln und verfeinern will. Untersucht werden soll, mit welchen Methoden aus den 90 Teilgebieten vielversprechende Standortregionen für eine übertägige Erkundung herausgefiltert werden können. „Zur Methodenentwicklung ist ein Gebiet nicht besser oder schlechter geeignet als andere Gebiete“, sagt BGE--Geschäftsführer Steffen Kanitz, trotzdem regte sich sofort Protest. „So geht das nicht“, empörte sich Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow: Zwei der ausgewählten Gebiete liegen auch auf Thüringer Boden. Im niedersächsischen Landkreis Harburg mit seinem Salzstock Bahlburg kritisierten Politik und Verwaltung, nicht vorab informiert worden zu sein. „Ein solches Vorgehen sorgt bei den Menschen vor Ort für Verunsicherung und Misstrauen“, sagte Landrat Rainer Rempe.

„Wir haben unterschätzt, wie sensibel bereits auf das Nennen von Gebieten, bei denen es nur um die Entwicklung von Methoden geht, reagiert wird“, sagt Wolfram Rühaak, Abteilungsleiter Sicherheitsuntersuchungen bei der BGE. „Wir haben den frühestmöglichen Zeitpunkt gewählt, um die Vorgehensweise transparent zu machen – dieses Vorgehen birgt immer die Gefahr, dass es mangels eines ausgefeilten Kommunikationskonzeptes zu Missverständnissen kommt“, sagt Geschäftsführer Steffen Kanitz. Das kann auch in Zukunft immer wieder vorkommen, aber die BGE wird an ihrem Versprechen festhalten, Sachverhalte und Vorgehen frühestmöglich zu veröffentlichen. Auch wenn das bedeutet, dass weiterhin unfertige Arbeitsstände zugänglich gemacht werden.

Dieses Versprechen sollte die BGE besser halten. Denn von ihrem Verhalten hängt entscheidend ab, ob die Standortsuche für das Endlager ein Erfolg werden kann. Oder ob doch wieder politische Gründe den Ausschlag geben. Diese Angst hat beispielsweise Amanda Hasenfusz, die in der dünn besiedelten Altmark in Sachsen-Anhalt lebt. „Hier gibt es eine sehr schöne Landschaft, aber wenig Menschen“, sagt die Atomkraftgegnerin. Sie befürchtet, dass die wissenschaftlichen nicht die entscheidenden Gründe sein werden, wenn es eines Tages zum Schwur kommt. „Am Ende wird doch wieder geschaut, wo wenig Menschen leben und wenig Widerstand zu erwarten ist“, sagt Hasenfusz. Denn am Ende entscheidet der Bundestag und damit die Politik.


Vorbildliche Ehrlichkeit


Die darin liegende Gefahr sieht auch Superintendent Wichert-von Holten. Der Kirchenmann leitet daraus einen Auftrag ab: „Die BGE muss vorbildlich ehrlich sein. Das Ergebnis der Endlagersuche muss wissenschaftlich so stabil und unverrückbar sein, dass die Politik es nicht umwerfen kann.“

Dafür muss es jetzt weitergehen. Mit dem Aussieben. Genau dafür werden – etwa in Thüringen oder Bahlburg – praxisnahe und robuste Methoden zur Bewertung aller 90 Teilgebiete entwickelt. Das Ergebnis ist eine Vorschlagsliste mit Standortregionen, die in einigen Jahren konkret von der Erdoberfläche aus untersucht werden sollen. Anschließend werden die Bürger*innen bei Regionalkonferenzen als „zentralem Gremium zur Beteiligung der Öffentlichkeit vor Ort“ für alle dann übrig gebliebenen Standortregionen einbezogen.

Die Endlagersuche ist vom Gesetzgeber als „selbsthinterfragendes und lernendes Verfahren“ angelegt. Die BGE und das BASE haben gelernt, dass sie nicht für die nächsten Jahre im Tunnel verschwinden dürfen, ohne ihre guten Absichten zu konterkarieren. Offenheit und Transparenz müssen während des gesamten Prozesses gezeigt und gelebt werden. Schließlich soll 2031 die Entscheidung für das deutsche Endlager fallen, und zwar transparent nach wissenschaftlichen Kriterien. Ob das funktionieren wird? Die Weichen jedenfalls sind gestellt.


Der Autor

Michael Prellberg ist freier Journalist. Seine Beiträge erscheinen unter anderem in der ZEIT, Capital, im manager magazin und Greenpeace Magazin.

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