Forschung zur Endlagerung hochradioaktiver Abfälle

Endlagersuche

von Von Dr. Anne Eckhardt Artikel

Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle ist ein Großprojekt, das Jahrzehnte beansprucht. Von der Standortauswahl über die Errichtung und den Betrieb bis zur Stilllegung des Endlagers ist ein breites Spektrum an Kompetenzen gefragt.

Viele Menschen leisten konkrete, fassbare Beiträge zum Projekt der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle. Im Verlauf der Standortauswahl müssen zum Beispiel Radionuklidausbreitungen modelliert, Sicherheitsuntersuchungen durchgeführt und Bohrungen abgeteuft werden. Welche Rolle spielt Forschung dabei? Warum wird überhaupt so intensiv Forschung zum Endlager betrieben, wo doch andere „Jahrhundertprojekte” wie neue Stadtviertel, Verkehrs- und Energieinfrastrukturen offenbar ohne eigene Forschungsprogramme auskommen?

Porträtbild von Dr. Anne Eckhardt. Das Foto zeigt eine Frau in einem dunklen Blazer, halblangen rotblonden Haaren und einer Brille mit runden Fassungen.
Dr. Anne Eckhardt

Projekt mit Pioniercharakter

Viele Eigenschaften des Endlagers für hochradioaktive Abfälle sind einzigartig.

Stärker als andere Großprojekte hat das Endlager für hochradioaktive Abfälle Pioniercharakter. In Deutschland wird ein Endlager für hochradioaktive Abfälle errichtet. International existieren kaum Vorbilder, auf die sich Bezug nehmen lässt – wie das Endlager in Finnland oder das Standortauswahlverfahren in der Schweiz. Auf Fachwissen und Erfahrungen, zum Beispiel aus dem Bergbau oder der Kerntechnik, kann zurückgegriffen werden, doch viele Eigenschaften des Endlagers für hochradioaktive Abfälle sind einzigartig. Ein prominentes Beispiel sind die hohen Sicherheitsanforderungen, deren Einhaltung über eine Million Jahre belegt werden muss.

Gleichzeitig ist das Endlagerprojekt außergewöhnlich anspruchsvoll und komplex. Das betrifft nicht nur die natur- und technikwissenschaftlichen Aspekte. Auch aus gesellschaftswissenschaftlicher Perspektive stellen sich schwierige Fragen, die vor dem Hintergrund unterschiedlicher Werte und Interessen von Akteurinnen und Akteuren beantwortet werden müssen, wie beispielsweise: Wann ist Sicherheit überzeugend belegt? Wie werden wir den Erwartungen zukünftiger Generationen am besten gerecht? Forschung wird also sowohl benötigt, um spezifische Fragen zum einzigartigen Endlager zu beantworten als auch um besonders schwierige Fragen zu klären, die sich im Zusammenhang mit der Endlagerung stellen. Dabei ergänzen sich verschiedene Formen von Forschung gegenseitig.

Verschiedene Arten der Forschung

Angewandte Forschung ist auf Fragen ausgerichtet, deren Beantwortung einen direkten Bezug zur Realisierung des Endlagerprojekts aufweist: Wie ist die Erdbebengefährdung an einem Standort einzuschätzen? Wie wirkt sich diese Gefährdung auf die Langzeitsicherheit des Endlagers aus? Wie lassen sich Risiken und Ungewissheiten anschaulich und verständlich kommunizieren? Damit leistet sie im Auftrag von am Endlagerprojekt Beteiligten, insbesondere der Vorhabenträgerin BGE, einen wesentlichen Beitrag zur Entsorgung der hochradioaktiven Abfälle. Anwendungsorientierte Grundlagenforschung sucht sich ihre Fragestellungen stärker selbst. Daher wirkt sie auf den ersten Blick womöglich weniger effizient und lösungsorientiert als angewandte Forschung. Anders als in der Grundlagenforschung geht es jedoch nicht ausschließlich um „reinen” Erkenntnisgewinn. „Anwendungsorientiert” bedeutet, dass sich Forschungsfragen an tatsächlichen, potenziellen oder denkbaren Fragestellungen der Entsorgung orientieren. Damit stellt anwendungsorientierte Grundlagenforschung ein sinnvolles Gegengewicht zur angewandten Forschung dar, sie erlaubt Perspektivwechsel und Diversität.

Ein aktuelles Beispiel ist TRANSENS, das vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz BMUV und der Volkswagenstiftung geförderte Forschungsprojekt „Transdisziplinäre Forschung zur Entsorgung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland”. TRANSENS arbeitet weitgehend unabhängig von anderen Akteurinnen und Akteuren im Standortauswahlverfahren, erprobt andere Ansätze als diejenigen, die im laufenden Endlagerprojekt verfolgt werden, und kann damit Anregungen und Alternativen ins Spiel bringen, die angewandte Forschung nicht im Blick hat. Bei TRANSENS werden unter anderem Erkenntnisse zur Überwachung der Umweltradioaktivität durch Bürger und Bürgerinnen, zur Selbstorganisation bei der Bürgerbeteiligung oder zur interdisziplinären Beurteilung von Ungewissheiten gewonnen. Diese Erkenntnisse sollen die Diskussion zur Endlagerung bereichern und einen breiten Kreis von Adressatinnen und Adressaten ansprechen, darunter neben direkt am Endlagerprojekt Beteiligten auch die interessierte Öffentlichkeit und die Wissenschaftsgemeinde.

Nützliche Umwege

Manchmal findet Forschung eine Antwort und wirft gleichzeitig mehrere neue Fragen auf.

In seinen Epigrammen spottete Erich Kästner über den Fortschritt und die Wissenschaft, die den „Umweg als die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten” hervorgebracht haben. Tatsächlich nimmt Forschung, insbesondere anwendungsorientierte Grundlagenforschung, die das Großprojekt Endlagerung voranbringen soll oder will, nicht immer den direkten Weg. Manchmal findet Forschung eine Antwort und wirft gleichzeitig mehrere neue Fragen auf. Manchmal stellt sie sicher Geglaubtes in Frage und macht damit anstrengende Reaktionen und Richtungsänderungen erforderlich. Sie eckt an, zweifelt und irrt. Aber nicht selten zeigt sich auch, dass der vermeintliche Umweg zu einer zuvor unbekannten Abkürzung führt.

Ob Abkürzung, geplante Strecke oder Umweg – auf dem Weg zur sicheren Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle sind das Wissen, die Erfahrungen und die Experimentierfreude von Forschenden unverzichtbar. Nur mit Einbezug vielfältiger Kompetenzen und Meinungen, (selbst-)kritischem Hinterfragen, ergebnisoffenem Experimentieren und lebendigen Diskussionen, kann überzeugend dargelegt werden, dass tatsächlich das bestmögliche Endlager angestrebt und umgesetzt wird. Jungen Menschen bietet Forschung eine Chance, sich an vorderster Front von Wissenschaft und Technik auszuprobieren, Erfahrungen zu erwerben und Wissen zu vertiefen. Das Projekt eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle in Deutschland hält dabei besonders interessante Fragestellungen bereit, unter anderem wegen der Langzeitdimension, der außergewöhnlich hohen Sicherheitsanforderungen und der Komplexität der Fragestellungen, deren Beantwortung das Zusammenwirken verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und neue Forschungsansätze wie Transdisziplinarität erfordert. Interessante Fragestellungen motivieren Berufsanfänger und aufgeschlossene Quereinsteiger*innen, sich näher mit der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle auseinanderzusetzen. Damit fördert Forschung direkt, was das Endlagerprojekt am meisten benötigt: Gut ausgebildete, engagierte Menschen, die das Großprojekt Endlagerung in den kommenden Jahrzehnten weiter voran und schließlich ans Ziel bringen.


Die Autorin

Dr. Anne Eckhardt hat sich in der Schweiz in verschiedenen Funktionen mit der Entsorgung radioaktiver Abfälle befasst – zuletzt als Präsidentin des Rats des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats. Sie ist stellvertretende Sprecherin des Forschungsprojekts TRANSENS und Geschäftsführerin der risicare GmbH.

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