Der ewige Mahner

28.01.2022 von Judith Jenner Reportage

Raimund Kamm engagiert sich seit Jahrzehnten in Bürgerinitiativen und der Politik gegen die Atomkraft und für erneuerbare Energien. Ein Porträt.


Es fühlte sich für Raimund Kamm an wie ein Veteranentreffen, als sich am Silvestertag 2021 zahlreiche Atomkraftgegner*innen und eine Handvoll –befürworter*innen vor dem Atomkraftwerk Gundremmingen zu einer „Abschalt-Mahnwache“ trafen. Viele der Anwesenden engagieren sich bereits seit den 1980er Jahren an der Seite des Bürgerrechtlers. Raimund Kamm ist Vorstand der Bürgerinitiative „FORUM Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik e.V.“. Er betrachtet das Kraftwerk von je her kritisch, das sich nur 40 Kilometer entfernt von seinem Wohnort Augsburg befindet. Das Abschalten des einstigen Vorzeigekraftwerks bedeutet für den ehemaligen grünen Abgeordneten das „Ende einer Epoche“.

Grundstein für Bürgerinitiative

Eine Unterschriftensammlung in der Nachbarschaft gegen das Atommüllzwischenlager legte im Jahr 2000 den Grundstein für die Bürgerinitiative. Selbstkritisch stellt Raimund Kamm fest, dass sich zuvor nur wenige Bürger*innen gefragt hätten, was eigentlich mit den radioaktiven Abfällen aus dem Betrieb des Kernkraftwerks passiere. Solange der Müll nach Sellafield in Großbritannien oder in die Wiederaufbereitungsanlage Le Hague in Frankreich transportiert wurde und sich nicht vor der eigenen Haustür stapelte, galt für die meisten die Devise: aus den Augen, aus dem Sinn.

Nicht so bei Raimund Kamm und seinen Mitstreiter*innen. Sie suchten von Anfang an die Debatte, ob mit Betreibern von Kernkraftwerken, den zuständigen Behörden oder Umweltschützer*innen. „Wir wollen nicht einfach nur dagegen sein, sondern verstehen, was wirklich in den Anlagen passiert und wie Alternativen aussehen können“, betont er. So ließ sich Raimund Kamm etwa von Physiker*innen die Kernspaltung und die damit verbundenen Risiken detailliert erläutern.

Die Augen für die Gefahren, die vom Atommüll ausgehen, öffnete ihm das Buch „Der Atommüll Report“, herausgegeben von Mitarbeitern des Ökoinstituts. „Die Vorstellung, dass wir jetzt Abfälle produzieren, die noch 35.000 Generationen nach uns lebensgefährlich sein werden, hat mich aufgebracht“, erklärt Raimund Kamm und ergänzt: „Zum Vergleich: Seit Christi Geburt haben ungefähr 80 Generationen auf der Erde gelebt.“

Ein  Mann steht vor Kühltürmen eines Atomkraftwerkes. Neben im steht das Ortsschild Grundremmngen
Raimund Kamm demonstriert im Jahr 2001 gegen das Zwischenlager Gundremmingen

Engagement für Umwelt und Gesellschaft

Portraitfoto Raimund Kamm mit zwei Kühltürmen im Hintergrund
© Catrin Weykopf
Raimund Kamm engagierte sich bereits in seiner Jugend politisch

Sich zu engagieren, hält Raimund Kamm für seine Bürgerpflicht. Geboren im westfälischen Lichtendorf, politisiert ihn bereits als Schüler die Aufarbeitung der Naziverbrechen. 1981 tritt er bei den Grünen ein, was bei seinen katholischen Eltern Stirnrunzeln hervorruft. Zu dieser Zeit lebt er bereits in Augsburg, ist mit der späteren grünen Landtagsabgeordneten Christine Kamm verheiratet und zieht mit ihr drei Kinder groß.

Parallel zu seiner Karriere als Managementtrainer und Personaldozent, die er nach einer Banklehre und dem Abschluss als Diplomökonom einschlägt, engagiert er sich in der Friedensbewegung, in der Obdachlosenarbeit, im Umweltschutz und leitet einen Eine-Welt-Laden in Augsburg.

Von 1986 bis 1997 sitzt Raimund Kamm als grüner Abgeordneter im Landtag von Bayerisch-Schwaben. In seine Zuständigkeit fällt auch das Kernkraftwerk Gundremmingen. Die Sicherheit des Reaktors besorgt ihn und seine Wähler*innen, besonders nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986.

Ein Jahr vor dem Ende seiner zweiten Amtszeit legt Raimund Kamm sein politisches Mandat nieder, um sich wieder seinem Beruf zu widmen. 1998 tritt er aus der Partei aus. „Ich galt in den Worten von damals als ‚Super-Realo’ und fand, dass sich die Partei zu wenig auf Regierungsverantwortung vorbereitete und sich lange um klare Positionen, zum Beispiel zur Bundeswehr, herumdrückte“, erinnert sich der Kriegsdienstverweigerer Kamm. Das Image als „Grüner“ wird der von nun an parteilose Bürgerrechtler bis heute nicht los, doch damit kann er gut leben.

Portraitbild von Raimund Kamm
Von 1986 bis 1997 sitzt Raimund Kamm als grüner Abgeordneter für Bayerisch-Schwaben im Landtag in München.

Priorität: Endlagersuche

Nach dem Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft, der auch Mahner*innen wie Raimund Kamm zu verdanken ist, könnte sich der 69-Jährige eigentlich entspannt zurücklehnen. Doch für den Umweltschützer hat jetzt die Suche nach einem sicheren Endlager für die atomaren Abfälle oberste Priorität.

Das Endlagersuchgesetz hält er für richtig. Demnach soll der in Deutschland am besten geeignete Ort für eine Lagerung der radioaktiven Abfälle unter Tage gefunden werden. Sollte dieser vor Raimund Kamms Haustür liegen, wäre er damit einverstanden. „Was uns in Bayrisch-Schwaben bedroht, ist nicht ein mögliches End-, sondern das vorhandene Zwischenlager“, sagt er.

Sorge bereiten ihm die Hallen mit Castor-Behältern auf dem Kraftwerksgelände in Gundremmingen und an anderen AKW-Standorten. Er fürchtet, die Zwischenlager könnten nicht sicher sein, etwa bei einem terroristischen Angriff. Die Lagerung unter Tage ist für ihn der einzig denkbare Weg, den Atommüll sicher zu verstauen.

Bis ein passender Ort gefunden ist, sollten zentrale Zwischenlager in jedem „Atom-Bundesland“ wie Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gebaut werden. „Die brauchen wir wohl für wenigstens die kommenden 60 Jahre.“

Zeitgleich möchte Raimund Kamm alternative Energien voranbringen. Besonders in seinem Bundesland Bayern sieht er als ehrenamtlicher Vorsitzender des Landesverbandes Erneuerbare Energie Bayern noch viel Potential für die Windenergie: „Wer die Energiewende aufhält, verursacht Atommüll“, lautet die Devise von Raimund Kamm. Sein Kampf ist noch lange nicht zu Ende.

Das Atomkraftwerk Gundremmingen in einer Winterlandschaft
Am Silvestertag 2021 wurde das Atomkraftwerk Gundremmingen vom Netz genommen
Zwei Männer stehen im Schnee vor den beiden Kühltürmen eines Atomkraftwerkes
Gundremmingen war das erste deutsche Großkraftwerk in Deutschland und ging 1966 in Betrieb

Das Kernkraftwerk Gundremmingen

Als erstes Großatomkraftwerk in Deutschland ging Block A des Kernkraftwerks Gundremmingen 1966 in den kommerziellen Betrieb. Nach dem Bau von Block B und C in den 1980er Jahren war es das leistungsstärkste Kernkraftwerk der Bundesrepublik. Während seiner Laufzeit wurden in Gundremmingen ungefähr 700 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert. Das ist so viel, wie ganz Deutschland in einem Jahr verbraucht.  Als bei einem Störfall im Jahr 1977 Kühlwasser Block A flutete, bedeutete das einen Totalschaden und der Betreiber nahm ihn vom Netz. Block B schaltete er 2017 ab. Der Meiler befindet sich bereits im Rückbau. Ende des Jahres 2021 ging der letzte noch aktive Block C vom Netz.

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