„Das Deckgebirge hängt von der Zimmerdecke“

Endlagersuche

08.09.2021 Interview

Die Sprache der Endlagerung und die Beteiligung der Öffentlichkeit – ein Interview mit Marion Durst, einer der Bürgervertreterinnen im Nationalen Begleitgremium (NBG)


Einblicke: Was macht eine Bürgervertreterin im Nationalen Begleitgremium (NBG)?

Marion Durst: Das Nationale Begleitgremium ist eine Gruppe von inzwischen 18 Personen, die als unabhängige Institution das Standortauswahlverfahren für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle begleiten. 12 Mitglieder des NBG werden vom Bundestag und dem Bundesrat berufen, das sind überwiegend Personen des öffentlichen Lebens, auch viele Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Fachrichtungen. Die sechs Bürgervertreter*innen sind in einem aufwändigen Auswahlverfahren gewählt worden. Nach einer Zufallsauswahl – irgendwann hat mich jemand angerufen und gefragt, ob ich meine Freizeit mit der Endlagersuche verbringen will – gab es mehrere Wahlverfahren bis zu einem endgültigen Wahltermin. Zwei Bürgervertreterinnen vertreten die junge Generation. Ich wurde deshalb da reingewählt, weil die Leute in der Wahlversammlung den Eindruck hatten, dass ich ihre Interessen im NBG gut vertreten kann, und dass ich die Perspektive der breiten Bevölkerung mit einbringen kann. Meine Rolle ist die der unvorbelasteten Bürgerin.

Porträtfoto Marion Durst
© Marion Durst
Marion Durst ist als Bürgervertreterin in das Nationale Begleitgremium gewählt worden. Seit 2018 beteiligt sie sich an den Diskussionen rund um die Endlagersuche. Sie arbeitet als Physiklehrerin an einer Schule in Thüringen.

Sie sind Lehrerin und haben das Endlagerthema auch Ihren Schüler*innen präsentiert. Was war Ihr jüngstes Projekt?

Zuletzt habe ich mit meinen Zehntklässler*innen im erweiterten Physikunterricht ein Projekt über einen ganzen Tag gemacht. Die Grundlage für das Projekt ist das Themenfeld Radioaktivität. Dieses Thema habe ich etwas erweitert um das Thema Engagement, Politik und Gesellschaft. Denn diese Generation muss sich mit diesem Thema ja auseinandersetzen. In diesem Schuljahr plane ich mit den Jahrgängen der 10. Und 11. Klassen ein mehrtägiges Projekt zu den Themen Radioaktivität und Endlagerung.


Ein Deckgebirge ist ein Gebirge, das kopfüber an der Decke hängt
© Marion Durst

Das war nicht das erste Mal, dass Sie Ihre Schüler*innen mit der Endlagerung konfrontiert haben. Ich habe drei wunderbare Karten gesehen, auf denen junge Leute Vokabeln aus der Endlagersuche neu interpretiert haben. Besonders gut gefallen hat mir die Definition des Deckgebirges, das von der Decke hängt. Wie ist es zu diesen Karten gekommen?

Ich habe natürlich auch gelacht. Die Karten kommen aus einer ganz normalen Physikstunde mit 14-Jährigen, in der ich wissenschaftliche Operatoren besprochen habe. Die Schüler*innen sollten Fachbegriffe definieren. Ich habe natürlich schon Begriffe gewählt, von denen ich ahnte, dass sie die Bedeutung nicht kennen, um auf die Struktur einer Definition zu fokussieren. Das ist eben das Schöne an Jugendlichen: Sie sind kreativ, sie hinterfragen scheinbar Selbstverständliches und fordern uns immer heraus. Die erhaltenen Antworten haben mir gezeigt, dass Begriffe, mit denen wir in der Endlagerung ganz selbstverständlich umgehen, eben auch anders gesehen und verstanden werden können. Das bedeutet: Wir müssen auf unsere Sprache achten – und ganz Selbstverständliches nicht als gegeben hinnehmen.


Für uns ist das natürlich eine Aufforderung, unser Glossar zu erweitern. Wie sprechen Sie denn mit den Schüler*innen über das Thema Endlagerung?

Ich spreche das Thema an, wenn es im Unterricht um Radioaktivität geht. Das ist ja auch ein Thema, das die Lebenswirklichkeit der jungen Leute wenig betrifft. In Thüringen  kann man aber mit einfachen Hilfsmitteln  Radon aus der Luft  extrahieren – ein Teebeutel und ein Staubsauger sind genug. Allerdings brauche ich auch ein ordentliches Messgerät.  So kann ich die Schüler*innen in ihrer Lebenswelt erreichen. Für die jungen Leute ist es meistens schwer zu verstehen, wie unsere Generationen so verantwortungslos sein konnten, einen so gefährlichen Müll zu erzeugen, ohne zu wissen, wohin damit. Aber sie sprechen auch schnell darüber, dass es auf jeden Fall einen sicheren Lagerort braucht. Persönliche Betroffenheit gibt es in Thüringen erst mal noch nicht. Aber Offenheit für das wissenschaftsbasierte Suchverfahren.
 

Wenn Sie an die Veranstaltungen der vergangenen Monate zurückdenken: Was finden Sie besonders auffällig?

Mir ist aufgefallen, dass von jungen Menschen und „Neueinsteigern“ immer wieder die gleichen Fragen gestellt werden. Es braucht offensichtlich einen Prozess, bei dem dies immer wieder neu möglich ist, ohne dass sich die Leute von vornherein abgehängt fühlen. Ich frage mich immer, wie können wir die Leute erreichen? Und wie schaffen wir es, auf das Thema aufmerksam zu machen?


Wir haben es mit einer geteilten Öffentlichkeit zu tun. Es gibt Profis, die sich schon seit Jahrzehnten mit der Atomenergie und der Endlagerung beschäftigen. Diese Gruppe von sehr gut informierten Laien hat ganz andere Diskussions- und Partizipationsinteressen als Leute, wie beispielsweise Jugendliche, die von dem Thema zum ersten Mal hören.

Ich glaube, es ist wichtig, möglichst viele Interessengruppen nach ihren Bedürfnissen zu fragen. Die Erwartung, dass junge Leute sich in Diskussionen einfinden können, die einen jahrzehntelangen Vorlauf haben, ist sicher verfehlt. Ohne Übersetzung wird das nichts. Vermutlich wäre schon viel erreicht, wenn die jungen Leute die Endlagersuche zumindest mal ein Stück des Wegs begleiten würden. Für junge Menschen ändert sich die Lebenssituation ja ständig, sie sind viel mobiler als die Älteren. Deshalb muss man sie erstmal abholen.

Eine Teufe ist eine aggressive Taube, von der einige Menschen sagen, sie wäre mit dem Teufel gekreuzt. Deshalb nennt man sie Teufe.
© Marion Durst

Was verstehen Sie denn unter Beteiligung?

Neben den gängigen Definitionen ist Beteiligung aus meiner Perspektive auch, die bestehenden Verhältnisse der Endlagersuche zu hinterfragen. Was junge Leute tun, ist das zu hinterfragen, was wir im Prozess längst als gegeben ansehen. Muss es ein Tiefenlager sein? Muss es ein Wirtsgestein sein? Geht nicht auch ein Endlager für ganz Europa? Auch das sehe ich als Beteiligung. In der kritischen Öffentlichkeit ist das höchstwahrscheinlich nicht genug.
 

Da merkt man, auf wie vielen Ebenen und Vertiefungen die Diskussion läuft. Möchten die jungen Leute die Themen nicht besser sortiert haben?

Ich glaube auch, dass diese Politisierung von Begriffen mit zunehmendem Alter kommt. Bei jungen Leuten erlebe ich das selten. Vermutlich würden sie eher fragen: Warum hängen wir uns denn jetzt an einem Begriff auf? Eine Sortierung der Themen wäre schon hilfreich. Und sprachlich müssen unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden. Da fehlt mir bisher die Differenzierung, und ich sehe das als Problem. Das fängt schon an mit der Definition von interessierter Öffentlichkeit und der allgemeinen Öffentlichkeit. Das versteht kaum jemand außerhalb des Beteiligungsprozesses. Auch fehlt jungen Leuten Humor in der Diskussion. Sie wollen auch bei schweren Themen mal lachen können. Aber viele der älteren Menschen haben andere Erfahrungen gemacht und fühlen sich dabei angegriffen. Das ist schon schwierig. Warum nicht auf der Homepage: Für Anfänger, für Fortgeschrittene, für Profis?
 

Wir haben zum Teil wissenschaftliche Veranstaltungen gemacht, haben sie aber natürlich geöffnet, , um Transparenz herzustellen.  Viele aus der interessierten Öffentlichkeit wollen genau da mitdiskutieren, weil sie befürchten, dass sie sonst Themen verpassen und möglicherweise die Transparenz fehlt. Die interessierte Öffentlichkeit hat oft kein großes Interesse daran, die Informationen zu verallgemeinern oder zu vergröbern, um Leuten den Einstieg in die Debatte zu erleichtern, denn sie selbst, und die die es verstehen müssen, wissen ja, um was es geht.

Viele aus der interessierten Öffentlichkeit sind sehr sachkundig und diskutieren da intensiv mit. Sie diskutieren auf einer Ebene, die in die Tiefe geht und von Einsteigern nicht verstanden wird. Damit wird diesen wiederum der Einstieg in die Debatte erschwert. Und das führt dann dazu, dass neue Leute in der Diskussion nur den emotionalen Gehalt wahrnehmen, nicht wissen, worüber da gestritten wird, aber spüren, dass sie manchmal für irgendetwas vereinnahmt werden sollen. Wir haben solche Erfahrungen bei Veranstaltungen des Nationalen Begleitgremiums auch schon gemacht. Viele Neueinsteiger haben den Eindruck, dass das alles viel zu kompliziert ist. Im Physik-Unterricht mache ich nichts anderes, als das Fachliche ins Verständliche zu übersetzen. Ich spiele auch mal Theater im Physikunterricht, für Wissenschaftler ist das haarsträubend. Aber mir geht es darum, ein Grundverständnis zu vermitteln, und das führt dann dazu, dass ich wissenschaftlich auch mal etwas unscharf werde.


Was tun, um dieses Interessenspektrum zu überwinden?

Ich finde, es wird zu wenig nach den Informationsbedürfnissen gefragt und zugehört. Das muss vermehrt gemacht werden. Da kommen manchmal Dinge heraus, die man nicht erwartet hat. Vielleicht muss man auch Erwachsene einfach mal fragen: Was ist ein Wirtsgestein? Umfragen könnten da vielleicht auch helfen. Ich bezweifle die These, dass sich Leute nicht für den Prozess interessieren. Dass sie sich nicht einbringen, kann auch andere Gründe haben. Solange wir die Gründe nicht genau kennen, weigere ich mich, Leuten Desinteresse zu unterstellen.

Wirtsgestein ist der Grabstein eines Wirtes, auf dem eine Schale steht, in die Trinkgeld geworfen wird.
© Marion Durst

Es gibt vermutlich schon Gruppen, die weder die BGE noch sonst jemand im Endlagersuchprozess, erreichen kann.  Aber das heißt nicht, dass wir es nicht weiter versuchen werden.

Diese Erfahrung mache ich auch in meinem Bekanntenkreis in Thüringen. Ich lebe in einem Weinanbaugebiet, und das Gebiet ist als Teilgebiet ausgewiesen worden. Die Leute um mich herum stellen die Verbindung gar nicht her. Die kommen auch nicht auf die Idee, mich irgendetwas dazu zu fragen. Sie halten es für komplett abwegig, dass jemand auf die Idee kommen könnte, ein Endlager unterhalb eines Weinanbaugebiets zu planen. Das ist in Tourismusregionen nicht anders. Oder in Städten. Meine Frage ist also: Wie erreicht man die Lebenswirklichkeit der Menschen? Gut, unter Pandemiebedingungen ist das alles schwierig. Aber das wird ja nicht ewig so bleiben. Ich frage mich immer, wie kann mein Bäcker sich an diesem Prozess beteiligen, wie erfährt er überhaupt davon?  In Niedersachsen haben die Leute einen ganz anderen Bezug zum Thema Endlagerung. In den ostdeutschen Bundesländern läuft das anders, weil die Menschen das Thema überhaupt nicht auf dem Schirm haben.  In der Vergangenheit war dieses Thema für die meisten Menschen hier nicht von Bedeutung.
 

Die Endlagersuche landet in den Diskussionen dann im Gerechtigkeitsdiskurs. Denn die gefühlte Ungerechtigkeit, mit „West“-Atommüll konfrontiert zu werden, ist sofort da.

Ich denke auch, dass die wenigsten professionell mit der Endlagersuche beschäftigten Leute auf die zukünftige Wucht der Empörung oder der Resignation im Osten vorbereitet sind. Bei mir kommt an: Kriegen wir ein Endlager, weil wir uns nicht zu wehren wissen? Gute Ratschläge von „da oben“ werden teilweise in Ostdeutschland sehr sensibel wahrgenommen. Menschen wollen sich wahrgenommen und verstanden fühlen. Die wichtigste Tugend in der Endlagersuche ist das Zuhören.


Das Gespräch führte Dagmar Dehmer

Top