Zehn Jahre Asse unter Atomrecht

05.01.2019 von Oliver Gehrs Bericht

Einleitung

Im Jahr 2009 reagierte die Politik auf die unhaltbaren Zustände in der Asse und stellte das Bergwerk unter Atomrecht. Ein Blick auf diese Dekade.

Von Oliver Gehrs


Der Januar 2009 hält für die Menschen eine Sensation bereit: In diesem Monat tritt mit Barack Obama erstmals ein nicht weißer US-Präsident sein Amt an. Die Bürger rund um die Asse interessiert freilich eine ganz andere Zäsur: Die Zuständigkeit für das Endlager geht vom Helmholtz Zentrum, das dem Forschungsministerium unterstellt ist, auf das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) über. Die Politik erkennt damit an, dass es sich bei der Asse mitnichten um ein Forschungsprojekt handelt, sondern um eine Anlage, die dringend unter das strenge Atomrecht gestellt gehört. Als Betreiber hat das Bundesamt für Strahlenschutz nunmehr die Aufsicht, die 255 Mitarbeiter der Schachtanlage werden von der neu gegründeten Asse-GmbH übernommen. Sie ist für die Ausführung der Arbeiten unter Tage zuständig.


Viel Vertrauen zerstört

Durch die mehr oder weniger klammheimliche Einlagerung von über 125.000 Fässern mit schwach- und mittelradioaktivem Abfall unter dem Deckmantel der Forschung war gehörig Vertrauen in der Bevölkerung zerstört worden, weswegen das BfS von Anbeginn auf Transparenz und Information der Bevölkerung setzt. Bereits am 5. Januar öffnet die Informationsstelle direkt oben am Bergwerk, die bis heute über 35.000 Menschen besucht haben. Wenig später erscheint die erste Ausgabe der „Asse Einblicke“, einer Zeitungsbeilage für die Region. Am 30. Januar  2009 beschließt der Bundestag die 10. Novelle des Atomgesetzes und ermöglicht dadurch die Stilllegung der Asse nach Atomrecht.


Nachdem sich jahrelang vor allem vereinzelte Aktivisten und Bürgerinitiativen um die Asse sorgten, wird das Endlager nun zum Medienthema. Als „größter Umweltskandal Deutschlands“ wird es nun öfter bezeichnet, in den Zeitungen landen Bilder, auf denen es aussieht wie auf einem Schrottplatz und nicht wie in einem Endlager. Eins zeigt einen Radlader, der die gelben Fässer einfach ins Salz stürzen lässt. Das Foto wird fortan zum Symbol für eine gescheiterte Atompolitik.

Es gibt keinen Nachweis, dass Krebserkrankungen von Beschäftigten auf die Arbeit in der Asse zurückzuführen sind.

Maschinen vor einer Halle, im Hintergrund Castoren
© BGE
Weniger Endlager, mehr Schrottplatz. So wurde in der 60er Jahren der Atommüll eingelagert

Viele Menschen in der Region treibt die Sorge um, dass der laxe Umgang mit dem Atommüll womöglich zu Gesundheitsschäden bei den Bergleuten geführt hat. Daher startet das BfS im Mai 2009 ein sogenanntes Gesundheitsmonitoring, bei dem alle Beschäftigten der Asse erfasst und im Hinblick auf mögliche Gesundheitsgefährdungen hin bewertet werden. Im Februar 2011 wird das Ergebnis bekannt gegeben. Demnach gibt es keinen Nachweis dafür, dass Krebserkrankungen von Beschäftigten auf die Arbeit in der Asse zurückzuführen sind. Viele bleiben skeptisch, doch ein Bericht des Landkreises Wolfenbüttel kommt 2012 zum selben Ergebnis.

Die mangelnde Eignung ignoriert

Die teils skandalösen Bedingungen der Einlagerungen, die sich in den übernommenen Akten widerspiegeln, interessieren auch die Politik. Im Juni 2009 nimmt ein Untersuchungsausschuss im niedersächsischen Landtag seine Arbeit auf. Drei Jahre lang werden Politiker und Wissenschaftler mit den Folgen ihres Handelns konfrontiert. „Kollektive Irreführung und Vertuschung im fortgeschrittenen Stadium“ treten zu Tage, so drückt es der Historiker Detlev Möller aus, der über die Asse promoviert hat. Grenzwerte seien willkürlich hochgesetzt worden, die mangelnde Eignung des kommerziell ausgeschöpften Bergwerks sei systematisch ignoriert worden. Dass man aus den Fehlern der Asse für die zukünftige Standortsuche lernen kann – da sind alle Parteien einig.

„Wollen die Betreiber den Atommüll womöglich gar nicht wirklich bergen?“

Arbeitende Personen in einem Gang unter Tage
© Janosch Gruschczyk
Seit zehn Jahren sorgen die Bergleute für Sicherheit und Fortschritte bei der Vorbereitung der Rückholung

Aber was passiert nun mit dem Atommüll in der Asse? Soll man ihn unter Tage lassen und das Bergwerk zur Stabilisierung und Abschirmung mit einer Magnesium-Chlorid-Lösung fluten? Soll man die Abfälle bergen oder nur Teile davon? Mitte Januar 2010 präsentiert das BfS eine Antwort: Ein Optionenvergleich hat ergeben, dass die komplette Bergung die beste Variante ist, um einen Langzeitsicherheitsnachweis erbringen zu können.

Die Rückholung aber ist ein Vorhaben, wie es weltweit noch nie verfolgt wurde und das schon aufgrund seines Umfangs auch auf Skepsis stößt. Denn neben den Fässern müssen wohl auch viele Tausend Kubikmeter kontaminiertes Salz geborgen werden. Und das aus einem Bergwerk, in das jeden Tag rund 12 Kubikmeter Wasser eindringen. Um die Grube zu stabilisieren, werden Hohlräume mit Spezialbeton verfüllt, was bei manchen Bürgern erneut für Skepsis sorgt. Wollen die Betreiber den Atommüll womöglich gar nicht wirklich bergen? Dass die Stabilisierung eine spätere Bergung erst möglich macht, ist für manche nicht nachvollziehbar und löst sowohl in den Bürgerinitiativen als auch in der Asse-2-Begleitgruppe Diskussionen aus. In dieser begleiten Bürger und Kommunalpolitiker den Stilllegungsprozess kritisch.

Zwei Menetekel für die Gefahren der Atomkraft

Für bundesweiten Wirbel sorgt am 28. Oktober 2010 der Beschluss der Bundesregierung, den von Rot-Grün zuvor beschlossenen Ausstieg aus der Atomkraft zurückzunehmen. Eine 180-Grad-Wende, die gerade einmal viereinhalb Monate Bestand hat. Am 11. März 2011 kommt es in einem AKW im japanischen Fukushima zu einer mehrfachen Kernschmelze und in Berlin zum erneuten Umdenken. Der Bundestag revidiert am 30. Juni 2011 die Laufzeitverlängerung und beschließt, bis 2022 alle deutschen AKW abzuschalten. 80 Prozent der Bevölkerung begrüßen den Ausstieg, nur acht Prozent finden ihn falsch. Fukushima und die Asse sind fast 9.000 Kilometer voneinander entfernt – aber beide werden zum Menetekel für die Gefahren der Atomkraft.


In der Asse selbst wird es im Juni 2012 spannend. Vor der Einlagerungskammer 7 in 750 Metern Tiefe wird eine große Anlage installiert, um mit einem Bohrer zu den Atomfässern durchzudringen. Ziel der sogenannten Probebohrung ist es, Genaueres über den Zustand des eingelagerten Atommülls zu erfahren – und dadurch Rückschlüsse zu ziehen, wie er geborgen werden kann. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) lässt es sich nicht nehmen, persönlich auf den roten Knopf zu drücken und die Bohrung zu starten. Die gestaltet sich allerdings schwieriger als erwartet. Bitumenschichten in dem Abdichtbauwerk vor der Kammer verschmieren den Bohrkopf – es beginnt ein Kampf um Zentimeter. Letztlich bohrt man knapp an der Kammer vorbei, die sich nicht mehr exakt dort befindet, wo man sie vermutet hat. Das Schieben des Berges hat die Kammer einfach ein wenig versetzt.

Rückholung rechtlich festgeschrieben

Neben den geologischen Problemen unter Tage gibt es auch oberirdisch Schwierigkeiten – in Form komplizierter und zeitraubender Genehmigungsverfahren, durch die die Arbeiten nur schleppend vorankommen. Auch in dieser Hinsicht soll die Lex Asse, die über alle Fraktionen hinweg am 28. Februar 2013 im Bundestag beschlossen wird, Abhilfe schaffen. Im neuen Asse-Gesetz wird die Rückholung rechtlich festgeschrieben, das Prozedere für Genehmigungen beschleunigt. Denn weil der Berg drängt, tut es die Zeit auch. Um den Atommüll rasch zu bergen und die Mitarbeiter möglichst geringen Gefahren auszusetzen, muss ein neuer Schacht gebaut werden. Der existierende ist zu klein und zu alt, um dieser Herkulesaufgabe gerecht zu werden. Im Juni 2013 beginnen erste Erkundungsbohrungen, um einen geeigneten Standort für den neuen Schacht (Asse 5) zu finden. Die Arbeiten sind bis heute nicht abgeschlossen, was zu massiver Kritik in der Region führt.

Auf den Aufnahmen aus Kammer 7 sieht man deformierte und zerquetschte Fässer, die mit einer dicken Staubschicht bedeckt sind

Und noch ein Gesetz wirkt sich auf die Asse aus: Das „Gesetz zur Suche eines Standortes für ein Endlager“ für hochradioaktiven Abfall soll nicht nur sicherstellen, dass es nach dem Gorleben--Desaster eine wissenschaftlich fundierte und von Bürgern begleitete Endlagersuche gibt, es führt auch zu einer kompletten Neuordnung der Zuständigkeiten. Das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (Bezeichnung seit 1. Januar 2020: Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, BASE) wird neue Aufsicht. Teile des Bundesamtes für Strahlenschutz und die Asse-GmbH gehen in der neu gegründeten Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) auf, die fortan auch die „Einblicke“ herausgibt. Im August 2015 beschließt die Bundesregierung, dass die Abfälle aus der Asse bei der Suche nach einem Endlager berücksichtigt werden sollen.


Zerdrücktes Gelbes Fass, im Vordergrund ein Maßband
Im September 2017 gibt es erste Aufnahmen von den Fässern in Kammer 7. Zusammen mit Luft­ und Salzproben lassen sie Rückschlüsse zu auf die Art und Weise der Bergung

Im August 2017 wird Kammer 7 schließlich mit einer Bohrung erreicht. Zunächst werden Gasproben entnommen und Videoaufnahmen gemacht. Auf ihnen sieht man deformierte und zerquetschte Fässer, die mit einer dicken Staubschicht bedeckt sind. Rund ein Jahr später wird ein wenig von diesem Staub geborgen. All das ist wichtig für die Entwicklung von Methoden zur Bergung.


Die Asse bewegt sich – das Deckgebirge drückt und drängelt, Risse bilden sich, nach wie vor tritt Wasser ein, doch seit zehn Jahren bewegt sich auch die Politik. Am meisten aber haben die Bergleute bewegt: Einsturzgefährdete Hohlräume wurden verfüllt, umfangreiche Vorbereitungen für ein unkontrolliertes Volllaufen der Grube getroffen, der Strahlenschutz zum Wohl der Mitarbeiter und der Umwelt ausgebaut. Natürlich geht es vielen Menschen nicht schnell genug, gibt es weiterhin Ängste und Frust. Aber über 40 Jahren verantwortungslosen Herumwurschtelns stehen nun zehn Jahre Bemühungen, das Problem zu lösen, gegenüber. Die Kritik an dem Verfahren und die Skepsis, ob die Rückholung klappt, sind freilich nicht weniger geworden. Sie zwingen Betreiber und Aufsicht immer wieder, ihr Handeln zu erklären.

„Natürlich geht es vielen Menschen nicht schnell genug“

Der Autor

Oliver Gehrs

Oliver Gehrs war Redakteur beim Spiegel und Ressortleiter bei der Süddeutschen Zeitung. Seit 2003 ist er Herausgeber beim DUMMY Verlag, der die Einblicke für die BGE produziert.

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