„Atomkraft ist kein Klimaschutz, sondern eine Ewigkeitslast“

Gorleben

19.12.2023 Interview

Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg spricht im Interview über Wiedereinstiegsphantasien, den gesellschaftlichen Umgang mit Atommüll und die Standortauswahl für ein Endlager.

Eigentlich wollte Wolfgang Ehmke langsamer treten, nachdem er seine Erfahrungen in seinem Buch „Das Wunder von Gorleben“ niedergeschrieben hatte – und Gorleben bei der Standortauswahl für ein Endlager ausgeschieden war. Ein später Erfolg für sein jahrzehntelanges Engagement. Aber nun ist doch wieder viel zu tun. Der parteipolitische Konsens in Deutschland zum Atomausstieg ist brüchig wie nie zuvor, der Atommüll muss viel länger als geplant in Zwischenlagern aufbewahrt werden und die Standortauswahl für ein tiefengeologisches Endlager kommt nur schleppend voran. 

Wie sieht die Bilanz von Wolfgang Ehmke aus, der sich Zeit seines Lebens dem Kampf für die Energiewende, gegen die Atomenergie und der möglichst sicheren Entsorgung des Atommülls eingesetzt hat? Und wie bewertet er die aktuellen energiepolitischen Entwicklungen in Deutschland und der Welt?

Portrait von Wolfgang Ehmke
© Kina Becker

Zur Person

Wolfgang Ehmke (76) ist seit der Standortbenennung Gorlebens als „Nukleares Entsorgungszentrum“ im Jahr 1977 Atomkraftgegner und engagiert sich als Sprecher in der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.. Für fast ein halbes Jahrhundert wurde ein Sprichwort von Erich Kästner für ihn zum Leitmotiv: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“. Sein aktuelles Buch „Das Wunder von Gorleben – Der Beitrag des Wendlands zur Energiewende“ ist 2023 in der 2. Auflage im Verlag Köhring erschienen.

„Die Energiekonzerne haben daran verdient, aber die Steuerzahler müssen es nun ausbaden.“

Parteien im Bundestag fordern die Rückkehr zur Atomenergie. Die CDU hat sich im Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms pro-Atomkraft ausgesprochen. Die AfD hat im Bundestag einen Antrag auf Wiederinbetriebnahme von sieben Atomkraftwerken (AKW) eingebracht. Nach jahrzehntelangem Engagement gegen die Atomenergie: ärgern Sie solche Forderungen?

Wolfgang Ehmke: Wer immer für die Atomkraft plädiert, negiert die Gefahren, verschließt die Augen vor den Kosten und ist verantwortungslos gegenüber den riesigen Problemen, die mit der Lagerung des Mülls verbunden sind. 30.000 uns nachfolgende Generationen müssen nun ausbaden, weil drei Generationen dachten: die Atomkraft sei eine billige und saubere Art der Stromgewinnung. Ach, und nicht vergessen, die Konzerninteressen. Die Energiekonzerne haben daran verdient, aber die Steuerzahler müssen es nun ausbaden. Die Konzerne haben sich für 24 Milliarden Euro von der Verantwortung um die Atommülllagerung freigekauft.

Ein starkes Argument pro-Atomkraft wird mit dem Klimaschutz vorgetragen. AKW würden viel weniger Emissionen als Kohle- und Gaskraftwerke erzeugen. In der EU-Taxonomie wurden AKW als nachhaltig und somit als Klimaschutzmaßnahme geadelt. Sind diese Argumente völlig von der Hand zu weisen?

Wolfgang Ehmke: Da müssen wir uns doch bitte auch einmal die Folgen des Uranabbaus vor Augen halten. Verstrahlte Landschaften, verseuchtes Grundwasser, Lungenkrebs; überall. Das hatten wir auch in Deutschland und der ehemaligen DDR. In Sachsen und Thüringen ist die Wismut GmbH heute noch damit beschäftigt, die Langzeitfolgen des intensiven Uranabbaus zu beseitigen. Fast 5.000 anerkannte Fälle Lungenkrebs wurden dort verzeichnet. Die Sanierungskosten für die Halden schlugen seit 1991 für den Bund mit rund sieben Milliarden Euro zu Buche. Auch in den Abbaugebieten von Uran im globalen Süden fallen Kosten an, wenn dort überhaupt aufgeräumt wird. Diese wahren Kosten der Atomenergie unterschlagen die Atombefürworter gerne. Deshalb: Atomkraft ist kein Klimaschutz, sondern eine Ewigkeitslast.

Die fossile und nukleare Energieproduktion und die jeweiligen Klima- und Umweltbelastungen gegeneinander aufzurechnen, davon halte ich außerdem nicht viel. Viel wichtiger ist es doch, sich um Sparpotentiale und Energieeffizienz zu kümmern. Dass Frankreich sich für die Atomkraft stark macht, hat im Übrigen nicht nur mit dem Sanierungsfall Electricité de France (EDF) zu tun. Die EdF machte laut Handelsblatt 2022 ein Minus von 18 Milliarden Euro. Frankreich ist auch Atombombenstreitmacht.

Nochmal zu den Versprechungen der Atomkraft: Sind Kleinreaktoren, die sogenannten Small Modular Reactors (SMR), an denen weltweit geforscht wird, eine wegweisende Zukunftstechnologie? Sie sollen in der Fabrik vorgefertigt, tausendfach im Land aufgestellt und zum Schutz des Klimas genutzt werden können. Sogar der hochradioaktive Atommüll soll in SMR wiederverwertet werden können.

Wolfgang Ehmke: Das heißt tausendfach Proliferationsgefahren. Aktuell zeigt sich in den USA, dass die teuren Mini-AKW, die im Übrigen gar nicht so klein sind, auf einem nicht-subventionierten Energiemarkt keine Chancen haben. In Idaho sollte der erste SMR entstehen. Nun wurde das Projekt abgebrochen. Das Institute for Energy Economics and Financial Analysis hatte als Zielpreis für den Atomstrom aus SMR Mitte 2021 noch 5,8 Cent pro Kilowattstunde genannt. Er ist mittlerweile auf 8,9 Cent pro Kilowattstunde gestiegen und ein Ende ist nicht in Sicht. Grund sind vor allem die geschätzten Baukosten, die um 75 Prozent gestiegen sind.

In den USA schrumpft der AKW-Bestand, obwohl Präsident Joe Biden fünf Milliarden Euro für die Modernisierung der Altmeiler versprochen hat. Am Reaktorblock Vogtle, Georgia, der dieses Jahr in Betrieb gegangen ist, wurde zehn Jahre gebaut. Die Kosten für zwei Meiler sind von 14 auf 30 Milliarden Euro gestiegen. Auch die Dauerbaustellen in Frankreich, Flamanville, und Großbritannien, Hinkley Point C, werden immer teurer; ihre Inbetriebnahme verzögert sich ein ums andere Mal. Hinkley Point C soll eine Einspeisevergütung von 11 Cent pro Kilowattstunde Strom und zusätzlich einen fest zugesagten Inflationsausgleich erhalten. Zum Vergleich: Strom aus Wind- und Solarkraftwerken gibt es in Deutschland heute schon ab 3 oder 4 Cent pro Kilowattstunde.

Sicherheit

Wenn es mit dem Recyceln des Atommülls doch nicht funktioniert, wie geht es dann weiter? Der Zeitplan wurde gerade geändert. Es könnte bis 2068 dauern, bis der Strandort für ein Endlager gefunden ist, der Bau und die Inbetriebnahme könnten dann bis ins nächste Jahrhundert hinein dauern. Derweil wird in Gorleben zurückgebaut, das begleiten Sie eher mit gemischten Gefühlen, oder?

Wolfgang Ehmke: Auf der einen Seite ist da eine große Genugtuung, wenn das Salz in Gorleben wieder unter die Erde kommt, die ersten Vorarbeiten laufen bereits und 2024 geht es richtig los – auf buchstäblich der anderen Seite aber stehen die 16 Zwischenlager …

… bei denen die Standort-Kommunen in Deutschland befürchten, dass sie auf Grund des langen Zeithorizonts schleichend zu Endlagern werden. Manche fordern einen finanziellen Ausgleich für das Risiko, das sie tragen müssten. Ist diese Befürchtung und ist diese Forderung berechtigt?

Wolfgang Ehmke: Da bin ich für klare Begriffe: Wir sprechen von Langzeitlagern. Wer davon sagt, dass die Zwischenlager schleichend zu Endlagern werden, verwirrt die Leute, denn die radioaktiven Abfälle müssen am Ende tief unten in der Erde gelagert werden. Und mehr Geld für die Standortgemeinden löst die Probleme nicht. Die Problematik ist: Weil die Endlagersuche deutlich länger dauert, als im Standortauswahlgesetz angenommen, stellt sich die Frage nach der Sicherheit der Castorbehälter, die ursprünglich für rund 40 Jahre oberirdisch gelagert werden sollten – und nicht 100 Jahre lang, wie es jetzt wahrscheinlicher geworden ist.

Und wie diese Anlagen gegen einen gezielten Flugzeugabsturz, Drohnen oder Angriffe von außen gesichert werden können, ist für unsere Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg ein großes Thema. Wolfram König, der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), verweist zu Recht darauf, dass diese Lagerhallen mit ihrem unvorstellbar großen nuklearen Inventar nicht gegen Kriegseinwirkungen ausgelegt sind. Auch neue Bedrohungsszenarien wie Hyperschallraketen müssen eine Rolle spielen, wenn es um Neugenehmigungen geht. Für den Betrieb der Zwischenlager in Gorleben und Ahaus laufen die Genehmigungen schon mit Beginn der 30er Jahre aus.

„Mehr Geld für die Standortgemeinden löst die Probleme nicht.“

Ausblick

„Eine Renaissance der Atomkraft würde alles, was jetzt so einigermaßen geregelt und auf dem Weg ist, wieder über den Haufen werfen.“

Sie nannten gerade das BASE. Die Entscheidungs- und Verfahrensträger haben den Auftrag, nach der jahrzehntelangen Polarisierung zwischen Staat und Anti-Atom-Bewegung das Verfahren fair zu gestalten. Die Standortauswahl soll laut Standortauswahlgesetz nicht nur transparent und wissenschaftsbasiert verlaufen, die Öffentlichkeit soll dabei auch eine Mitsprache erhalten.

Wolfgang Ehmke: Gelernt wurde aus dem Gorleben-Konflikt, dass es ein vergleichendes, wissenschaftsbasiertes Suchverfahren statt einer Top-down-Entscheidung geben muss. Dass Gorleben im ersten Vergleichsschritt tatsächlich herausfiel, war ein gutes Zeichen. Dazu gehörte seitens der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) auch ein wenig Rückgrat, weil damit auch zwei Milliarden Euro buchstäblich „ins Salz“ gesetzt wurden.

Gelernt werden sollte auch, dass die Endlagersuche nicht gegen, sondern nur unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft, der Umweltverbände und Bürgerinitiativen sowie den betroffenen Kommunen funktioniert. Informationsveranstaltungen sind von Beteiligung noch weit entfernt. In der aktuellen Suchphase gibt es sogar eine Beteiligungslücke und auch fehlende Resonanz: Es steht der BGE völlig frei, Anregungen und Kritik aus der Zivilgesellschaft an ihrem Eingrenzungsprozess anzunehmen.

Insgesamt erscheint das Interesse der Öffentlichkeit an der Standortsuche extrem gering. Nur eine sehr überschaubare Community von Fachleuten aus Ministerien, Behörden, Verbänden und der Wissenschaft begleitet das Verfahren. Warum beteiligen sich so wenige Menschen an der Suche?

Wolfgang Ehmke: Ich gehe davon aus, dass das Interesse an dem Thema Endlagersuche schlagartig wieder da ist, wenn die obertägig zu erkundenden Regionen benannt werden. Das soll 2027 der Fall sein. Dann ist die direkte Betroffenheit zurück. Die konnte bisher gar nicht hergestellt werden, weil zunächst 54 Prozent der Landesfläche als „potenziell geeignet“ für die Endlagerung ausgewiesen wurden.

Weder den vollständigen Rückbau der AKW zur grünen Wiese noch die Findung eines Standortes werden Sie und ich erleben. Haben Sie dennoch Empfehlungen an die nächsten Generationen, wie diese mit dem Problem umgehen sollen?

Wolfgang Ehmke: Die Zivilgesellschaft muss sich weiter einmischen. Eine Renaissance der Atomkraft würde alles, was jetzt so einigermaßen geregelt und auf dem Weg ist, wieder über den Haufen werfen.

Über den Autor

Das Interview führte Achim Brunnengräber. Er ist Privatdozent am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und leitet dort ein Teilprojekt von TRANSENS (externer Link): Transdisziplinäre Forschung zur Entsorgung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland.


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