Vorstoß ins Unbekannte

Asse

06.10.2023 von Alexandra Endres Reportage

Bevor die radioaktiven Abfälle aus der Asse geholt werden könne, muss klar sein: In welchem Zustand befinden sich die Behälter? Wie sieht es dort aus, wo sie seit Jahrzehnten lagern? Die Erkundung der Einlagerungskammern soll Klarheit bringen. Ein Besuch unter Tage.

Der erste Blick

Die Kamera fährt durch einen düsteren Tunnel, es scharrt und quietscht, ein Motor surrt. Dann zeigt der Film, wie sich im spärlichen Licht ein Hohlraum auftut. „Da ist was!“, ruft eine männliche Stimme aufgeregt. Andere stimmen ein. Sie feiern­ einen Durchbruch – wortwörtlich.

„Auf diesen Moment haben alle Beteiligten jahrelang hingearbeitet“, sagt Frank Ehrlich, der die Infostelle Asse der BGE leitet. Das Video aus dem Sommer 2017 zeigt, wie eine Kamera durch eine Bohrung, von der man nicht genau wusste, welche Erkenntnisse sie bringen würde, endlich Einlagerungskammer 7/750 des Bergwerkes erreicht.

Die Kammer ist nur eine von 13 im Salz der Asse, in denen schwach- und mittelradioaktive Abfälle gelagert sind – zumindest noch für eine begrenzte Zeit. Denn ein Gesetz aus dem Jahr 2013, die „Lex Asse“, sieht die Rückholung aller radioaktiven Abfälle aus dem Bergwerk vor.

Das Problem: Niemand weiß, in welchem Zustand die Behälter heute sind – wahrscheinlich in keinem guten. Denn im Gestein wirken starke Kräfte. Die Folge: Die Salzschichten verschieben sich nach und nach. Risse entstehen, Gesteinsbrocken fallen von der Decke, und teils tritt Wasser ein. Im Video aus Kammer 7/750 ist auch ein zerquetschtes, rostiges Fass zu sehen. Das unterstreicht, wie herausfordernd die Bergung der radioaktiven Abfälle ist.


Ein rostiges Fass steckt zerquetscht zwischen Gestein.
Im Sommer 2017 lieferte eine Kamera Bilder aus der Einlagerungskammer 7/750. Zu sehen ist eines der Fässer, das infolge des Jahrzehnte anhaltenden Gebirgsdrucks stark deformiert ist

Der Durchbruch

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Video Preview

Die Überraschung


Der Untergrund birgt Herausforderungen – nicht nur in den Kammern der Asse selbst. Auch am geplanten Standort von Schacht Asse 5, durch den die Abfälle ans Tageslicht gebracht werden sollen, zeigen sich sehr komplexe geologische Verhältnisse.

Auch deshalb sagt die Geologin Martina Herold, die die Erkundung der Asse leitet: „Wir werden auch während der Rückholung aus Sicherheitsgründen immer weiter erkunden.“ Denn nur so kann die BGE die Daten gewinnen, die ihr helfen, die Bohrungen und andere mit der Rückholung verbundenen Arbeiten fortlaufend neu zu justieren.

Im Video, das den Durchbruch zu Kammer 7/750 zeigt, ist spürbar, mit welcher Anspannung die Erkundungsbohrungen verbunden sind. Doch wie kompliziert sie tatsächlich waren, ist in dem Film nicht zu sehen.

Die Erkundung

Juni 2023: 750 Meter unter der Erde steht Olaf Börner in einem Bürocontainer und deutet auf einen Plan an der Wand, der zeigt, wie als Nächstes die Einlagerungskammer 12/750 mit dem Bohrer erreicht werden soll. Neben ihm: Ralf Speck. Er ist Strahlenschutzbeauftragter und dafür­ verantwortlich, dass seine Kollegen hier sicher arbeiten können.

Börner ist Gruppenleiter Sonderprojekte auf der Asse. Sein Job ist es, die Erkundungsarbeiten in der Praxis zu koordinieren und zu leiten. Er war schon immer Bergmann. Zu DDR-Zeiten hat er im Uran- bergbau gearbeitet. Nach seinem Bergbaustudium in Freiberg führte ihn sein Weg unter anderem in das Saarland, nach England, in das Ruhrgebiet und nach Sachsen. Seit 2011 ist er auf der Asse tätig. Er sagt: „Weltweit gibt es kaum ein vergleichbares Projekt. Was wir hier machen, ist Bergbauerkundung nach Atomrecht. Da gelten eigene Spielregeln.“ Die Genehmigungsverfahren sind deutlich aufwendiger als unter den Bedingungen des Bergrechts. Börner nimmt es sportlich: Als Assessor des Bergfaches kann er es auch mit den juristischen Feinheiten der Asse aufnehmen.

Doch das schützt ihn nicht vor unliebsamen Überraschungen. So wie bei der Erkundung von Kammer 7/750. Da trafen Börner und seine Kollegen mit dem Bohrer beispielsweise eine Bitumen-Dichtung, mit der die Kammer vor Jahrzehnten nach der Einlagerung der radioaktiven Abfälle verschlossen worden war – und plötzlich quoll ihnen Pech entgegen. Das Bitumen im Verschlussbauwerk hatte sich aufgrund der hohen Temperaturen verflüssigt und blockierte die weiteren Arbeiten.

Um die Bohrungen neu anzusetzen, wäre ein weiteres Genehmigungsverfahren nötig gewesen. Doch die Zeit hatten sie nicht. Also bohrten Börner und seine Kollegen einfach weiter durch die zähe, übel riechende Flüssigkeit. Mit Zustimmung der jeweiligen Behörden natürlich. Aber danach mussten sie den Raum mit der Bohranlage komplett sanieren.

Für die Erkundung von Kammer 7/750 waren ursprünglich elf Bohrungen geplant. Am Ende wurden acht umgesetzt. Sieben Jahre dauerte es von der ersten bis zur letzten Bohrung: Gemessen an den erschwerten Bedingungen, „war das gar nicht so schlecht“, findet Börner. Zufrieden stellt ihn das jedoch nicht. Auch wenn er weiß, dass dabei viele wichtige Erfahrungen gesammelt wurden.


Drei Personen in orangen Anzügen stehen an einem Bohrgerät
Drei Mann am Bohrgerät: Olaf Börner (links) ­ koordiniert zusammen mit Bauleiter Dennis Dillge (Mitte) die Erkundungs­ arbeiten unter Tage. Ralf Speck ist für den Strahlenschutz verantwortlich.

Die Kammer 12/750


Ein Bohrer, der in eine Wand Steinwand geht
Der Übergang vom­ Arbeitsbereich ins Steinsalz. Von hier aus sind es rund 120 Meter bis zur Einlagerungskammer.

Die Erkundung von Kammer 12/750 und weiterer Kammern soll nun schneller vonstattengehen. Immerhin hatten Börner und seine Kollegen diesmal einen vermeintlichen Startvorteil: Statt das große Bohrgerät mit allen weiteren Sicherheitseinrichtungen komplett ab- und anderswo wieder neu aufbauen zu müssen, konnten sie es an Ort und Stelle einfach umdrehen und neu ausrichten. Der hierfür erforderliche Genehmigungsaufwand übertraf jedoch alle getroffenen Zeitabschätzungen, sodass sich der zunächst erhoffte zeitliche Vorteil zu einer zeitraubenden Geduldsprobe entwickelte.

Jetzt tasten sie sich an die rund 120 Meter entfernte Kammer 12/750 heran. Sie wurde Anfang der 1970er-Jahre mit 7464 Abfallbehältern befüllt. Anders als im Bild oben wurden die ­ Fässer hier liegend gestapelt. Da die Hohlräume nicht verfüllt wurden, ist die Kammer unter dem Druck des Berges deformiert. Börner und seine Leute peilen mit ihrer Bohrung daher zunächst eine Stelle oberhalb der Kammer an. Vom Bohrloch aus geben verschiedene geophysikalische Verfahren Aufschluss über die geologischen Verhältnisse sowie die Beschaffenheit des darunterliegenden Hohlraumes. Dieses erste Ziel, hofft Olaf Börner, könnte schon in wenigen Monaten gelingen. Erst die darauffolgende zweite Bohrung wird direkt in die Kammer geführt.

Dafür wird die Bohrgarnitur mit einer speziellen Bohrkrone und einer Schwerbohrstange bestückt, sodass die Bohrung in sanftem Bogen in die Kammer geführt wird. Bauleiter Dennis Dillge erzählt, wie schwierig das ist. Im Bergbau gebe es ja die Redensart: Vor der Hacke ist’s duster. „Und hier bei uns weiß man eben nie, was vor dem Bohrer ist.“

Über den Zustand der Einlagerungskammern und ihren Inhalt weiß man wenig. Deshalb muss die BGE die Kammern vor Beginn der Rückholung der radioaktiven Abfälle erkunden – und zwar mithilfe von Bohrungen. Die Infografik erklärt, wie das geht.
Über den Zustand der Einlagerungskammern und ihren Inhalt weiß man wenig. Deshalb muss die BGE die Kammern vor Beginn der Rückholung der radioaktiven Abfälle erkunden – und zwar mithilfe von Bohrungen. Die Infografik erklärt, wie das geht.

Die Autorin

Alexandra Endres ist freie Journalistin mit einem Schwerpunkt auf Klima, Energie und Umwelt.

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